The Middle of Nowhere

Edward Luttwak, Prospect Magazine, Issue 134, Mai 2007

Die Probleme im Nahen und Mittleren Osten sind strategisch unbedeutend. So lautet die provokative These von Edward Luttwak, Militärexperte beim Center for Strategic and International Studies in Washington DC. Demnach ist die Region trotz ihrer Ölvorkommen unwichtiger denn je und es wäre besser für alle Beteiligten, würde der Rest der Welt sie endlich ignorieren. Stattdessen aber wiederholen so genannte Nahostexperten ständig dieselben Fehler:

  1. Der Fünf-vor-Zwölf-Alarmismus: Der jordanische König Hussein war ein Meister darin, regelmäßig die unmittelbar bevorstehende Katastrophe und die endgültige Explosion des Nahostkonflikts vorherzusagen. Diese „Momente der Wahrheit“ aber waren meist nichts anderes als die übliche Konfliktkonjunktur: Sie steigt an, wenn sich Frieden ankündigt, und sie fällt rechtzeitig wieder ab, bevor die Gewalt vollends zu eskalieren droht. Auf den Ölpreis etwa hat diese Konjunktur so gut wie keine Auswirkung. So fiel er inflationsbereinigt zwischen 1981 und 1999 trotz zahlreicher Krisen. Die Abhängigkeit von den Ölreserven aus Nah- und Mittelost sinkt: Aus der Region kommen heute weniger als 30% der weltweiten Rohölproduktion. Zum Vergleich: 1974/75 waren es noch 40%.
  2. Das Mussolini-Syndrom: Im Zweiten Weltkrieg gaben britische und französische Militärs den Großmachtforderungen Mussolinis nach, da sie sich über die wahre Größe und Schlagkraft seiner Streitkräfte täuschen ließen. Derzeit ist Ähnliches im Fall Iran zu beobachten. Von der steigenden Gefahr zukünftiger iranischer Terroristen, über einen möglichen Gegenschlag im Fall der Bombardierung von iranischen Nuklearanlagen, bis hin zur Behauptung, das iranische Volk stünde vereint hinter den Nuklearambitionen der iranischen Regierung – alles Symptome des Mussolini-Syndroms: Iranische Terroristen skandieren seit über 30 Jahren „Tod den Amerikanern“ und haben bisher kaum nennenswerten Schaden angerichtet; ein möglicher Gegenschlag ist das wohl schlechteste Argument von allen, die gegen eine Bombardierung iranischer Nuklearanlagen anzuführen sind und das iranische Volk ist tief gespalten in verschiedene Fraktionen aus Persern, Türken, Kurden und Arabern, mit teilweise heftigen interethnischen Spannungen.
  3. Die Illusion der Formbarkeit: Der dritte und größte Fehler besteht in dem Glauben, diese historisch gewachsenen Gesellschaften seien leicht formbar durch Eingriffe von außen. Hardliner bestehen darauf, nur durch Gewalt könne man im Nahen und Mittleren Osten die gewünschten Veränderungen erzielen. Doch das einzige Resultat dieser Strategie ist Gegengewalt und wachsende Feindseligkeit. Auch die meisten Gegner dieser Strategie unterliegen derselben Illusion, wenn sie glauben, man müsse nur genügend Zugeständnisse machen, um Reformen und Modernisierung voranzutreiben.

Nahostexperten sollten endlich akzeptieren, dass rückständige Gesellschaften sich selbst überlassen werden müssen, so wie die Franzosen jetzt klugerweise Korsika in Ruhe lassen oder die Italiener Sizilien, wo eine neue und smartere Mafia aus Doktoren und Rechtsanwälten das Zepter übernommen hat. Ohne Invasionen oder freundliches Engagement sollte es den Menschen im Nahen und Mittleren Osten möglich sein, ihre eigene Geschichte zu leben – was Nahostexperten jeglicher Couleur ihnen häufig streitig machen.

Zusammenfassung erstellt von Eddie Hartmann (31.05.2007)