Ungelöste Probleme der NATO? Sicherheitspolitik endlich europäisieren!

Maximilian Klefenz │ 11. Mai 2012



Die NATO und ihre Mitgliedsstaaten haben es verpasst, notwendige Reformen auf den Weg zu bringen, um sich aktuellen Herausforderungen zu stellen. Europa wird in Zukunft stärker selbst für die eigene Sicherheit verantwortlich sein.  Dies macht eine stärkere Integration der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik notwendig und bietet gleichzeitig Chancen für die NATO.

Wo steht die NATO heute?

Die NATO war jahrzehntelang Ausdruck einer Werte- und Sicherheitsgemeinschaft zwischen Europäern und Nordamerikanern; als System kollektiver Verteidigung aber auch als Sicherheitsanker für Europa. Durch die friedlichen Revolutionen auf dem Gebiet des Warschauer Pakts entfiel die Hauptbedrohung für die NATO-Staaten. Die daraufhin entstandenen Ideen und Vorschläge der Mitgliedsstaaten zu einer möglichen Reform des Verteidigungsbündnisses sahen die NATO vor allem als wichtiges Bindeglied im Rahmen einer transatlantischen Sicherheitspolitik, als mögliches Instrument des Krisenmanagements und als Militärbündnis für friedenssichernde Maßnahmen der Vereinten Nationen.

Nachdem am 1. Oktober 2001 erstmals der Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages in Kraft gesetzt wurde, der in Absprache mit den Regierungen der Mitgliedstaaten die Wiederherstellung und Wahrung der Sicherheit des nordatlantischen Gebietes vorsieht und einen bewaffneten Angriff auf einen Bündnispartner als Angriff gegen jeden der Mitgliedsstaaten ansieht, hat die NATO es bislang nicht vermocht, effektive Strategien zur Bekämpfung der Gefahr des internationalen Terrorismus zu entwickeln.

Ungelöste Probleme

Die Rolle der NATO wurde und wird in Nordafrika und im Nahen Osten unter anderem durch den Bürgerkrieg in Libyen oder Syrien auf den Prüfstand gestellt. Aus einer Ex Post-Betrachtung bleibt auch hier der fade Beigeschmack, dass die NATO in der Vergangenheit das eigene Wertegerüst allzu häufig dem Pragmatismus geopfert hat. Stabilität zählte anscheinend für die Mitgliedsstaaten mehr als Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie. Außerdem wurde offensichtlich, dass die NATO nie einen sicherheitspolitischen Plan B für die arabische Welt hatte.

Unabhängig von den Unabwägbarkeiten einer teilweise geforderten militärischen Intervention in Syrien würde nur ein Mandat des UN-Sicherheitsrats ein solches Vorgehen legitimierten. Schon der Beschluss eines solchen Mandats erscheint jedoch angesichts der verhärteten Fronten fraglich. Nach dem Ende der Libyen-Operation und dem bevorstehenden Ende der ISAF-Operation in Afghanistan muss aber auch für den Fall einer möglichen Mandatierung durch die UN gefragt werden, ob die NATO und ihre Mitgliedsstaaten überhaupt über die organisatorischen Kapazitäten und den politischen Willen verfügen würden, in Syrien einzugreifen.

Dies fußt auf der Problematik, dass die NATO schon lange die Kapazitätsgrenzen dessen erreicht hat, was ihr unter Effizienzgesichtspunkten gut tut. 28 Mitgliedsstaaten, mit unterschiedlichen Interessen, bei gleichzeitigem Konsensprinzip und dem Erfordernis der Entscheidungseinstimmigkeit führt und führte allzu oft zur Handlungsfähigkeit des Bündnisses. Jeder neue Erweiterungsschritt würde nun zwangsweise einen Schritt hin zu weniger statt mehr Sicherheit bedeuten und so einerseits dem Sicherheitsinteresse derjenigen schaden, die den Schutzschirm der NATO im Zweifelsfall wirklich benötigen und andererseits den Status Quo manifestieren.

Die NATO ist eine Organisation demokratischer Rechtsstaaten – und um das Prädikat Wertegemeinschaft dauerhaft für sich in Anspruch zu nehmen muss sie das auch bleiben. Deshalb  fußt beispielsweise die Partnerschaft für den Frieden (PfP) auf einem Vertrag, der diese Werte für jeden Unterzeichnerstaat als verbindlich erklärt. Dass die Mehrheit der Unterzeichnerstaaten jedoch Freiheit und Demokratie im eigenen Staatsgebiet mit Füßen tritt ist weithin bekannt. Von Seiten der NATO hört man dazu nicht allzu viel.

Mehr Europa wagen – auch in der Verteidigungspolitik

Die außen- und sicherheitspolitische Grundfrage unserer Zeit, der Umgang mit Multipolarität und asymmetrischen Bedrohungen, bleibt von der NATO unbeantwortet. Es muss deshalb auch erlaubt sein Alternativen zu denken. Eine Alternative zu einer auf der Stelle tretenden NATO wäre es, dass sich die EU-Staaten endlich um eine echte Integration der Außen- und Sicherheitspolitik bemühen und gemeinsam festgelegt wird, was denn eigentlich die europäischen Sicherheitsinteressen in dieser Welt sind. Dass es an der Zeit ist sich von nationalen Sonderwegen zu verabschieden sollte in Europa schon lange jedem klar sein. Deshalb sollten langfristig die Aufgaben der Verteidigungspolitik komplett auf Europäischer Ebene angesiedelt werden. Dies wäre eine Aufgabe bei der Deutschland Initiator und Motor sein könnte. Dabei müsste Deutschland auch Pläne für eine bessere europäische Arbeitsteilung (Pooling and Sharing) oder die ersten Schritten hin zu einer europäischer Armee auf den Weg bringen. Und vielleicht wäre eine, in der NATO geschlossen auftretende, Allianz der EU-Mitgliedsstaaten gerade die Lösung für die Probleme der NATO.

Maximilian Klefenz studiert Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Völker- und Europarecht an der Universität zu Köln. Er ist International Officer im Bundesvorstand der Jungen Liberalen.

1 Kommentare

  1. Florian Knaack Says:

    Der Kollege Klefenz hat in seinem Beitrag einige interessante Anregungen zur transatlantischen Wertegemeinschaft gebracht, die ich ungern unkommentiert lassen möchte. So kann ich der Forderung nach einer „Europäisierung der Sicherheitspolitik“ und damit einer verstärkten europäischen Position in der NATO nur zustimmen. Eine solche Konsensfindung im europäischen Rahmen, bevor es in Verhandlungen mit den Partnern des nordamerikanischen Kontinents geht, käme einer schnelleren Entscheidungsfindung und damit auch der Aktionsfähigkeit der NATO zu Gute. Entsprechend ist auch der Position Herrn Klefenz zu künftigen Erweiterungsrunden zuzustimmen. Mit jedem neuen Mitglied fließen neue Partikularinteressen in das Bündnis ein, die bei einer eventuellen Findung einer einheitlichen europäischen Position, berücksichtigt werden müssten und eine Konsensfindung erschweren.

    Einer „Opferung des Wertegerüsts“ seit dem 11. September muss ich hingegen widersprechen. Aus mehreren Gründen:

    1. Das Wertegerüst der NATO und der sicherheitspolitische Pragmatismus waren seit der Gründung der NATO aufs Engste miteinander verwoben. Im Kalten Krieg befanden sich Ost und West nicht nur materiell sondern auch ideologisch in einem Wettstreit. Die Anziehungskraft von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten stellten ein Konstrukt dar, das dem der Sowjetunion entgegengesetzt war und große Wirkung sowohl auf die eigenen Verbündeten aber auch auf die Mitglieder des Warschauer Paktes hatte. Im Ost-West Konflikt hielt dieser Wertekanon die Verbündeten zusammen und sorgte für Spannungen im Warschauer Pakt. Die Erhebungen 1953, 1956, 1968 und letztendlich 1989 waren Ausdruck dafür.

    2. Nach dem Fall der Mauer kam diese Anziehungskraft der Werte voll zum Tragen und konnte leicht in die politische Praxis implementiert werden. So ermöglichte der ideologische Wertekanon der NATO erst die friedliche Annäherung und anschließende Integration einer Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern des Warschauer Paktes. Die Hauptaufgabe des Bündnisses in den 90er Jahren lautete nicht umsonst, westliche Werte gen Ost zu exportieren. Das der Wertekanon bei einer solchen Aufgabenkonstellation quasi politisch gelebt bzw. 1:1 in die Praxis umgesetzt wird wurde, war zwingend erforderlich. Nie zuvor waren ethische Werte und politische Praxis so eng miteinander verbunden wie in den 90er Jahren, die gleichzeitig mit die erfolgreichsten in der Geschichte des Bündnisses waren. Entsprechend stimme ich meinem Vorkommentator in der Hinsicht zu, dass die westliche Wertebasis einen ebenfalls sehr pragmatischen Zweck in der politischen Praxis hatte.

    Jedoch stehen noch zwei weitere Faktoren der These des Werteverfalls entgegen:

    1. In der operativen Praxis hat sich schon während der Balkankrise gezeigt, dass eine solch enge Verknüpfung von ethnischen Werten mit der operativen Praxis der NATO nicht umsetzbar ist. Der NATO fehlten für eine solche politische Praxis schlicht und einfach die Mittel. Wenn mit Blick auf Nordafrika die Klage erhoben wird, dass Stabilität den NATO-Mitgliedern wichtiger war als Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, sei nur an die Vorwürfe erinnert, die an die USA ergangen sind, die eben mit diesen Zielen, ohne UN-Mandat, in den Irak einmarschiert sind. Sollte die NATO einer solchen Praxis folgen, die im blinden Aktionismus endet und eben eine Überforderung zur Folge hat, von der sich die USA gerade erholt?

    2. Nach dem 11. September rückte durch die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen der Werteexport als Hauptaufgabe des Bündnisses deutlich in den Hintergrund. Nicht mehr die Ausweitung und Begleitung der Implementierung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie waren die Aufgaben der NATO, sondern militärische Leistungsfähigkeit war von nun das Kriterium an dem die NATO primär gemessen wurde und wird. Der momentan laufende NATO-Gipfel in Chicago bestätigt diesen Trend. Der smart-defense Ansatz ist Ausdruck der transatlantischen Bemühungen die militärische Leistungsfähigkeit und damit die Glaubwürdigkeit und Projektionskraft der Werte selbst am Leben zu erhalten.

    Eine Opferung des Wertegerüsts findet so gesehen nicht statt. Nur ist aufgrund der veränderten Aufgaben die enge Verknüpfung der Werte und der politischen Praxis nun nicht mehr vorhanden, wie es in den 90er Jahren der Fall gewesen ist.

    Heute gilt es diese Werte und die daraus entspringenden Interessen auch verteidigen zu können. Eine europäisierte Sicherheitspolitik, wie hier vom Kollegen gefordert, ist der richtige Schritt in diese Richtung. Praktische Umsetzung würde dieses Projekt in Form einer kooperativen eng verzahnten Rüstung finden, die bereits der Kollege Dieter in seinem Beitrag angeregt hat. Wenn dies nicht gelingt, wird die NATO in der Tat nicht über Lippenbekenntnisse hinsichtlich seines Wertegerüsts hinauskommen.






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