Strategischer Partner mit erodierenden Mitteln? Wie Deutschlands Außenpolitik erfolgreich bleibt

Felix Seidler │ 02. Oktober 2012



Deutschland zahlt sich schlapp, so die Furcht vieler Krisen-Zeitgenossen. Nicht ganz zu Unrecht, denn durch das Wachstum anderer Volkswirtschaften und den demografischen Wandel sieht die Lage nicht gut aus. Gleichzeitig ist Berlin aber für China, Indien und andere Staaten ein gefragter strategischer Partner. Wie kann also die Bundesrepublik mit weniger Mitteln noch international erfolgreich bleiben?

Langfristige Erosion von Status und Mitteln

Momentan ist Deutschland eine „geoökonomische Macht„. Hauptinstrument deutscher Außenpolitik ist somit die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik oder umgangssprachlich schlicht und ergreifend Geld. Vieles wurde aus Bonn und Berlin in den letzten zwanzig Jahren nach außen als wohlwollendes Engagement verkauft, wie die deutsche Politik auf dem Balkan oder in Afrika. Dabei versuchte Deutschland in der Regel sich den gewünschten Status einfach zu kaufen und politische Ansprüche untermauerten Bundesregierungen aller Couleur nur zu gerne mit diesem Machtmittel. Schließlich war die Höhe des UN-Beitrags (8 % des Gesamthaushalts) immer auch Argument für die Forderung Berlins nach einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat.

Aber das Machtmittel Geld wird verschwinden. Je mehr die direkten und indirekten Staatsschulden Deutschlands wachsen und desto näher die Schuldenbremse rückt, desto weniger ist Geld als Instrument außenpolitischer Machtausübung verfügbar. Die Euro-Krise tut dazu ihren Teil. Der kürzlich verstorbene ehem. Chefvolkswirt der Deutschen Bank Prof. Norbert Walter stellte die richtige Frage: „Deutschland: Zahlmeister. Wie lange noch?“ Angesichts der schwindenden Zustimmung in der Bevölkerung für „mehr Europa“ und die schwindende Zustimmung im Bundestag für neue Rettungspakete darf man hinter den politischen Willen für hohe Ausgaben in der Außen-, Europa und Sicherheitspolitik ganz neue Fragezeichen setzen. In der Sicherheitspolitik ist diese Entwicklung am Beispiel der Bundeswehr bereits seit Jahren unübersehbar.

Mangels militärischer Kapazitäten und Rohstoffe definiert sich Deutschlands Stellung in der Welt durch die Größe seiner Volkswirtschaft. Aktuell die viertgrößte der Welt wird Deutschland 2030 auf Platz 6 stehen. Brasilien und Indien werden vorbeiziehen und Deutschland 2050-60 auf dem zehnten Rang wiederfinden. Mit einer Bevölkerung von dann 60 bis 70 Mio. Menschen, von denen 1/3 älter als 60 Jahre alt ist, wird Deutschland alleine aus mathematischen Gründen den Status verlieren, den es heute noch hat. Also was tun, wenn der Status „geoökonomische Macht“ und das Hauptinstrument Geld erodieren?
 
Strategische Partner en masse! Aber wofür?

Trotz dieser schlechten Aussichten ist Deutschland momentan sehr stark nachgefragt. Ob die Gründe dafür wirklich in den außen- und sicherheitspolitischen Taten Deutschlands zu suchen sind, sei mal dahingestellt. Nichtsdestotrotz eine Übersicht: Außerhalb der EU unterhält Deutschland auf höchster Ebene Regierungskonsultationen mit den USA, China, Russland, Indien und Israel. Daneben werden immer mehr neue strategische Partnerschaften bekannt gegeben, wie etwa jüngst Vietnam, Brasilien, Vereinigte Arabischen Emirate und Südafrika. Auch Indonesien hat bereits Interesse angemeldet.

Aber welche Länder sind wirklich strategische Partner? Und warum? Was ist der Zweck und was soll überhaupt über deklaratorisches Tamtam und PR hinaus mit diesen Partnern erreicht werden? Eine strategische Partnerschaft im Sinne des Wortes heißt, dass es mit eben diesem Partner eine langfristige Konzeption politischen Vorgehens gibt, um gemeinsame Ziele zu verwirklichen. Allein der Anzahl wegen sollte Deutschland es bei diesen strategischen Partnerschaften belassen, damit der Begriff nicht völlig entwertet wird. Die großen Fische des globalen Teichs sind ohnehin bereits an Land gezogen.

Für eine Transatlantische Freihandelszone!

Mit den USA sollten neue Ziele definiert werden, da viele alte Vorhaben heute Realität sind. Sicherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum sind auf Dauer hergestellt. Die Raketenabwehr wird kommen und die NATO wird - sich „durchwurschtelnd“ - als sicherheitspolitischer Pfeiler bestand haben. Ferner ist die europäische Diskussion, ob man sich der US-Neuorientierung gen Pazifik anschließen wolle, in der Realität schon überflüssig. Die Vereinigten Staaten beweisen bereits durch ihr politisches und militärisches Handeln (z.B. in Australien), dass sie die Europäer nicht mitnehmen wollen und sie die europäische Diskussion nicht interessiert.

Viel wichtiger wäre angesichts der geoökonomischen Machtverschiebungen den Westen in anderer Form zu einen und die USA so an Europa zu binden: Die Idee einer Transatlantischen Freihandelszone sollte wiederbelebt werden! Das ist ein Projekt, das von der Bundesregierung mit den Vereinigten Staaten langfristig vorangetrieben werden sollte, um auf die Phase des „Durchgereicht-Werdens“ unter den Volkswirtschaften bis 2060 vorbereitet zu sein.

China: Verhindern statt Erreichen?

Nachdem sich Deutschland gerade Abbaurechte im Pazifik sichert, mal vorausgedacht: Müssen sich kommende Bundesregierungen in Zukunft in Peking dafür einsetzen, dass China mit seiner expeditionären Marine deutsche Ansprüche in der pazifischen Tiefsee akzeptiert oder gar garantiert? Neben pressewirksamen Auftragsunterzeichnungen wird Deutschland solche rohstoffpolitischen Fragen auf die Tagesordnung deutsch-chinesischer Regierungskonsultationen setzen müssen.

Der wirtschaftspolitische Wert einer strategischen Partnerschaft mit China kann nicht überbetont werden. Aber bei der Jagd nach Rohstoffen, der Kontrolle des Cyber-Space und der Aufrüstung seiner Streitkräfte verfolgt China andere Interessen als Deutschland, um nur drei Beispiele zu nennen. Mehrwert, Zweck und Ziele der strategischen Partnerschaft mit einem sehr selbstbewussten China liegen daher - außerhalb der wirtschaftlichen Kooperation - wohl eher im Verhindern als im Erreichen. Durch vertrauensbildende Maßnahmen könnte Deutschland dazu beitragen, dass die global-politischen Begleiterscheinungen der Rohstoffjagd und Aufrüstung Chinas  nicht außer Kontrolle geraten. Im Ost- und Südchinesischen Meer sieht man zur Zeit, wie notwendig das ist.

Russland bietet…

…Anlass zu großen Bauchschmerzen. Genau wie die Regierung in Peking ist die Regierung in Moskau letztlich eine Diktatur; siehe Pussy-Riot. Da Demokratisierung als gemeinsames Ziel ausscheidet, stellt sich erneut die Frage: Was wollen wir mit Russland umsetzen? Rohstoffe und Wirtschaftsaufträge schön und gut, aber nach dem politischen Dauerschutz für Assad scheidet Russland eigentlich als sicherheitspolitischer Partner aus. Da die Zahl der Baustellen deutscher Außenpolitik groß genug ist, bietet es sich in puncto Russland an, in den bilateralen Beziehungen auf den Erhalt des Status quo zu setzen. Mit einem hoffenden Auge darauf, dass sich die Dinge in Russland vielleicht von innen heraus ändern. Und dann sollte Deutschland da sein!

Aber Indien hat…

…langfristig deutlich mehr Potential. Die Regierungskonsultationen haben bisher erst einmal stattgefunden, so dass eine zweite Runde in jedem Fall stattfinden sollte. Obwohl auch hier das Argument gilt, nicht zu viele Baustellen aufzumachen, ist die Etablierung dieser Konsultationen für den Zeitraum sinnvoll, in dem sich Indien anschickt, Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft abzulösen. Berlin kann sozusagen den Wachwechsel begleiten.

Europa wurde bisher hier nicht thematisiert, weil…

…all diese strategischen Partnerschaften bezeichnenderweise an der EU völlig vorbeigehen. Entgegen offensiven Bekenntnissen für Europa handelt die Bundsregierung letztlich aus nationalen Erwägungen.

Die EU als globaler Akteur bietet keinerlei Anlass zum Optimismus. Nicht, weil sie kein Potential hätte, sondern weil es nicht ausgereizt oder genutzt und umgesetzt wird. Und das wird sich nicht ändern. Damit „Europa“ als internationaler Akteur funktioniert, müssten konsequenterweise die Regierungen und Parlamente mit ihren Bürokratien ihre Selbstentmachtung in die Wege leiten und ihre Unterwerfung unter europäische Institutionen umsetzen. Wie schlecht das auf weit niedrigerem Level läuft, sieht man an der permanenten Nicht-Nutzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes.

Großbritannien mal außen vor, dürften sowohl Deutschland wie Frankreich, wenn es hart auf hart kommt, weder zur Selbstentmachtung noch zur außen- und sicherheitspolitischen Unterwerfung unter europäische Institutionen bereit sein. So bleibt die europäische Außen- und Sicherheitspolitik durch das Verhalten der Mitgliedsstaaten mehr ein deklaratorisches Projekt denn ein ernsthaftes, umsetzungs- und lösungsorientiertes Politikinstrument.

Fazit

Bei vorhersehbarer Verschlechterung der Ausgangslage und gleichzeitiger Pflege diverser strategischer Partnerschaften bedarf es ganz anderer Planung als heute. Wie sind diese Partnerschaften zu nutzen und wie ist Deutschland halbwegs attraktiv zu halten, während es finanziell, wirtschaftlich und demographisch marginalisiert wird und Europa einfach nicht in Fahrt kommt?

Hier wurde eine Reihe von Ideen präsentiert, die unabhängig ihrer tatsächlichen Realisierbarkeit eines gemeinsam haben: Sie verdeutlichen die Notwendigkeit, dass die deutsche Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik heute beginnen muss, in großen Linien für die nächsten Dekaden voraus zu planen. Sonst schafft sich Deutschland außenpolitisch womöglich ab.

Felix F. Seidler ist Doktorand an der CAU Kiel.

Quelle Autorenbild: Felix Seidler / Quelle Artikelbild: Wikipedia Commons (Ute Kraus)

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