Eine gesamteuropäische Friedensordnung: Russland, Mittelosteuropa und Deutschland

Karsten D. Voigt │ 12. September 2012



Eine gesamteuropäische Friedensordnung setzt voraus, dass Russland in Europa integriert ist. Russland und seine westlichen Nachbarn müssen sich voreinander sicher fühlen. Statt sich gegenseitig zu fürchten, sollten sie gemeinsam auf neue Bedrohungen ihrer Sicherheit reagieren. Berlin sollte sich für eine Verbesserung dieser bilateralen Beziehungen einsetzen, dann verringern sich auch die Vorbehalte gegen eine Vertiefung der deutsch-russischen Zusammenarbeit.

Schritte in Richtung auf eine gesamteuropäische Friedensordnung sind nur dann realistisch, wenn sie nicht nur den Interessen einiger größerer Staaten, sondern auch denen der meisten kleineren Staaten entsprechen. Eine dauerhaft stabile Friedensordnung lässt sich in Europa nur entwickeln, wenn größere und kleinere Staaten zum wechselseitigen Ausgleich ihrer Interessen bereit sind.

Die Erinnerung an einstige Bedrohung und Dominanz ist in kleineren Staaten lebendiger als in den größeren Nationen: Deshalb sind größere Länder wie Russland und Deutschland klug beraten, wenn sie mit ihren kleineren und mittelgroßen Nachbarn zu einem Dialog über die unterschiedliche Sicht auf die Vergangenheit bereit sind. Diese Gespräche sind schwierig und schmerzhaft. Er wird selbst unter heute befreundeten Nachbarn nicht zu einer völlig gleichen Sichtweise führen. Dies ist auch nicht erforderlich. Man braucht die Geschichtsbilder seiner Nachbarn nicht zu teilen. Aber die Zusammenarbeit zwischen Nachbarn wird  erleichtert, wenn man versucht, ihre unterschiedlichen historischen Erinnerungen zu verstehen.

Rücksicht ist Weisheit

Der Blick auf die Geschichte und machtpolitische Asymmetrien beeinflussen das politische Bewusstsein und die Definition von Interessen. Die geografische Lage und die Geschichte eines Landes sind vorgegeben. Aber die Politik kann die Relevanz dieser Faktoren positiv oder negativ verändern. Wer eine europäische Friedensordnung will, muss seine Macht klug begrenzen und seine geostrategische Lage für ein Mehr an Kooperation nutzen.

Rücksicht auf Nachbarn zu nehmen ist kein Zeichen der Schwäche sondern der Weisheit. Nur weil diese Einsicht das Leitmotiv deutscher Politik nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, ist das vereinigte Deutschland heute von Freunden und Partnern umgeben.

Deutschland wird durch keinen Staat, insbesondere auch nicht durch Russland, bedroht. In dieser Lage kann Deutschland selbstbewusst bilateral und multilateral auf mehr Kooperation mit Russland drängen. Dabei baut es auf den während der Entspannungspolitik entwickelten Projekten der Vertrauensbildung und der Zusammenarbeit auf. Sein Ziel ist es, Russland durch Handel, Investitionen, transnationale Infrastrukturprojekte (so z.B. im Energie- und Verkehrsbereich), einen intensiven kulturellen Austausch und zusätzliche sicherheits- und abrüstungspolitische Vereinbarungen möglichst eng mit den Mitgliedsstaaten der EU und der NATO zu verbinden. Gleichzeitig versucht es, Russland als Partner im Kampf gegen die Risiken der nuklearen Proliferation, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und gegen den Klimawandel und andere globale Gefahren und Herausforderungen zu gewinnen.

Russlands Reformprozess braucht leider viel Zeit

Die Stabilität einer europäischen Friedensordnung hängt nicht allein von sicherheitspolitischen Arrangements ab. Ein gemeinsames Grundverständnis von  Rechtstaatlichkeit und die Beachtung der Menschenrechte tragen zur sicherheitspolitischen Vertrauensbildung bei. Im Dialog mit Russland vertritt Deutschland demokratische Werte, die Menschenrechte und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Die Beachtung dieser Werte und Prinzipien sind Ziel, nicht aber Voraussetzung von Kooperation. Es ist wahrscheinlich, dass Russland diese Werte erst als Ergebnis eines langen, von Rückschlägen begleiteten Reformprozesses befriedigend beachten wird.

Anders als manche ihrer Partner glaubt die Mehrheit der Deutschen nicht, dass Druck von außen mangelnden Reformwillen im Inneren Russlands ersetzen kann. Diese Einsicht bedeutet nicht, dass Deutschland geneigt wäre, an dem Ziel gemeinsamer Werte und Prinzipien als Teil einer europäischen Friedensordnung Abstriche vorzunehmen. Es kritisiert Andere und wird selber kritisiert, wenn demokratische Werte und Prinzipien verletzt werden. Die wechselseitige Kritik an innenpolitischen Missständen fördert das Bewusstsein von gemeinsamen europäischen Werten und Normen. Wechselseitige Kritik und zunehmende Zusammenarbeit sind keine Alternativen. Sie sind beides Teile eines gesamteuropäischen Prozesses, der Regierungen, Öffentlichkeit und Bevölkerung gleichermaßen einbezieht.

Für bessere russisch-europäische Beziehungen

Eine dauerhaft stabile Friedensordnung setzt eine konstruktive Rolle Russlands in Europa voraus. Welchen Weg Russland einschlägt, wird durch Russland selber entschieden. Jeder Versuch, Russland seine Rolle in Europa gegen seinen eigenen Willen aufzunötigen, wäre zum Scheitern verurteilt. Es liegt in Russlands Eigeninteresse, dass seine Nachbarn durch Ton und Verhalten seiner Politik spüren, dass ihre Sorgen und Ängste vor der russischen Politik unberechtigt sind.

Deutschland hat heute keine Angst mehr vor Russland. Die bilateralen Beziehungen sind gut. Es ist im Interesse Berlins, dass sich die bilateralen Beziehungen Moskaus zu seinen westlichen Nachbarn und zur EU und zur NATO verbessern und dies aus drei Gründen:

  1. Wenn sich die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und seinen westlichen Nachbarn verbessern, dann verringern sich auch die Vorbehalte gegen eine Vertiefung der deutsch-russischen Zusammenarbeit.
  2. Die Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und seinen westlichen Nachbarn und Russlands Mitwirkung bei der Überwindung von noch ungelösten Problemen erhöhen die Stabilität in Europa insgesamt und vergrößern die Chance von gesamteuropäischen Entwicklungen.
  3. Die Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und seinen westlichen Nachbarn begünstigt eine engere Kooperation Russlands mit der EU und der NATO. Dies ist angesichts neuer Herausforderungen und Gefahren aus anderen Teilen der Welt dringend erforderlich.

Unter einer derartigen Zusammenarbeit würde die transatlantische Zusammenarbeit nicht leiden und die gesamteuropäische gewinnen. Russlands Rolle in Europa würde sich stabilisieren. Nachdem Europa im vergangen Jahrhundert durch Kriege und Ideologien seine führende Rolle verspielt hat, könnte es durch Zusammenarbeit bewirken, dass im Konzert alter und neuer Mächte europäische Kultur und europäische Interessen global relevant bleiben.

Karsten D. Voigt war von 1999 bis 2010 Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit.

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