Irrelevanz festgeschrieben: Die EU verurteilt sich auf der Koreanischen Halbinsel selbst zur Passivität

Tobias Dondelinger │ 24. August 2012



Im Juni diesen Jahres beschloss der Rat der Europäischen Union eine Überarbeitung der Leitlinien für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU in Ostasien. Hinsichtlich des Konflikts auf der Koreanischen Halbinsel stehen diese Leitlinien jedoch den selbstformulierten Interessen der EU – wie denen Deutschlands – fast diametral entgegen. Sie verurteilen die EU in dieser gleichermaßen wirtschaftlich  bedeutenden und politisch fragilen Region zur Passivität, statt die Möglichkeit zu lassen, die eigenen Stärken als neutraler Vermittler einzubringen und damit ein gefährliches Pulverfass entschärfen zu helfen.

Mitte Juni diesen Jahres hielt Außenminister Westerwelle anlässlich des CDU/CSU-Kongresses „Asiens neue Gestaltungsmächte“ eine Rede, in der er die Interessen und das Engagement Deutschlands in der Region darstellte und dabei auch die strategische Ausrichtung im Fall der sicherheitspolitischen Herausforderungen dort erklärte. Diese Herausforderungen, zu denen Westerwelle den schwelenden Konflikt im Südchinesischen Meer und die fragile Situation auf der Koreanischen Halbinsel zählte „verlangen aktives und verantwortliches Krisenmanagement. Hier will die EU ihre Erfahrungen von Kooperation und Integration einbringen.

Realistische Lagebestimmung

Zwei Tage nach dieser Ansprache beschloss der Rat der Europäischen Union eine Überarbeitung der Leitlinien für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU in Ostasien, die 2007 veröffentlicht worden waren. „Diese Leitlinien sollen als eine generelle und aktuelle Orientierung für den Ansatz dienen, den die EU gegenüber Ostasien in allen ihren Tätigkeitsbereichen verfolgt“ und stecken somit den Handlungsrahmen ab, an dem sich die EU und ihre Mitglieder orientieren. Innerhalb dieses Dokuments werden wirtschaftliche Interessen als zentral beschrieben und es wird konstatiert, dass „Sicherheit und Stabilität in Ostasien […] Voraussetzungen für den weiteren wirtschaftlichen Erfolg der Region“ darstellen. Als eine bedeutende Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität werden „Nuklearprogramm und das Programm für ballistische Flugkörper der Demokratischen Volksrepublik Korea und die damit einhergehende Gefahr der Proliferation“ genannt. Daher seien „der Dialog zwischen beiden koreanischen Staaten, die Wiederaufnahme der multilateralen Verhandlungen und Fortschritte in diesen Verhandlungen sowie die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel […] von zentraler Bedeutung für die regionale Sicherheit.

Mit abwegigen Konsequenzen

Die Konsequenzen, die in dem Papier daraus gezogen werden, sind jedoch vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Relevanz des Themas sowie der Forderungen von Außenminister Westerwelle nach einem aktiven und verantwortlichen Krisenmanagement, nur schwer nachvollziehbar. Der recht ausführliche Absatz für das Vorgehen auf der Koreanischen Halbinsel (S. 18f) zeichnet sich durch eine seltsame Zweiteilung aus: Auf der einen Seite herrscht Passivität vor, wenn es um eine Förderung des Dialogs oder gar ein Engagement der EU geht, andererseits wird gegenüber Nordkorea eine extrem breiter Forderungskatalog aufgestellt. Dieser reicht von der oben bereits erwähnten Einstellung des Nuklear- und Raketenprogramms über den Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag, dem Nuklearwaffenteststopp-Vertrag sowie dem Chemiewaffenübereinkommen und der wirtschaftlichen Öffnung bis zu „Verbesserungen der Menschenrechtslage in Nordkorea“ auf die die EU drängen soll. Nun besteht in all diesen Punkten zwar durchaus großer Handlungsbedarf und Fortschritte in jeder der genannten Fragen wären sehr zu begrüßen, jedoch stehen diesen Forderungen wie gesagt kaum Angebote zu einem Dialog oder Anreize gegenüber. Einzig die Abschlussformulierung deutet in diese Richtung, denn nach dieser soll die EU „weiter ihre Bereitschaft bekunden, ihre Beziehungen zu Nordkorea in dem Maße schrittweise zu vertiefen und zu erweitern, wie Fortschritte in den vorgenannten Angelegenheiten, die der EU Anlass zur Sorge geben, erzielt werden.“ Der Verweis auf die Fortschritte in den vorgenannten Punkten relativiert den Anreizcharakter jedoch bis zur Unkenntlichkeit, denn in seiner Schwammigkeit und dem ja nicht eben geringen Ausmaß der besorgniserregenden Angelegenheiten, bietet er eine maximale „Flexibilität“ bei der Auslegung und Bewertung der erzielten Fortschritte.

Konstruktive Begleitung des multilateralen Dialogs war gestern

Gleichzeitig konterkariert das Papier alle Forderungen nach einer konstruktiven Begleitung des multilateralen Dialogs auf der Koreanischen Halbinsel. Während Analysten erst jüngst ein stärkeres Engagement der EU im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche um die Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel forderten und darin eine Möglichkeit sahen, die eigenen Stärken Auszuspielen und so als politischer Akteur in der Region Fuß zu fassen, deuten die überarbeiteten Leitlinien in die entgegengesetzte Richtung. Passagen aus der Vorgängerversion von 2007, die auf die Einbindung Pjöngjangs in einen Dialog abzielten, wurden ersatzlos gestrichen und Abschnitte, die eine allgemeine Förderung eines Dialogs betrafen, wurden abgeschwächt. Weiterhin wurden Punkte, die Kritik an südkoreanischem Verhalten nach sich gezogen hätten, das einem Dialog abträglich ist, zugunsten Seouls so umformuliert, dass auch konstruktive Kritik Seitens der EU im Rahmen eines partnerschaftlichen Dialogs unwahrscheinlicher wird.

Chancen vergeben, Risiken verdrängen

Die überarbeiteten Leitlinien laufen deutschen wie europäischen Interessen in zweifacher Weise entgegen. Einerseits verhindern sie die Profilierung der EU als außenpolitischen Akteur, da ein ehrlicher Makler in der festgefahrenen Situation auf der Koreanischen Halbinsel gerade jetzt Wunder wirken könnte: Innerhalb des nächsten Jahres werden mit China, den USA und Südkorea in drei der wichtigsten Akteure des Konfliktes neue bzw. neu gewählte Regierungen die Geschäfte übernehmen, während sich in Nordkorea gerade ein neues Machtgefüge etabliert. So könnte die EU einen Weg aus ihrer häufig (auch selbstkritisch) konstatierten Irrelevanz in Ostasien finden und damit auch Forderungen wichtiger Akteure nach einem stärkeren Engagement nachkommen.

Andererseits wird aktuell ein entscheidender potentieller Krisenherd in der wirtschaftlich bedeutenden Region Ostasien sträflich vernachlässigt. Ein Engagement der EU würde der Stabilität einer Region dienen, die mittlerweile für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wie der EU von so vitaler Bedeutung ist, dass die Verwerfung in Folge eines heißen Konflikts auf der Koreanischen Halbinsel schwere Schockwellen nach Europa aussenden würden.

Deutschland muss aktiv bleiben

Deutschland sollte sich im Rahmen des Spielraums, den die Leitlinien der EU bieten für ein aktives Engagement der EU im Rahmen des Sechs-Parteien-Prozesses einsetzen. Es sollte dabei weiterhin den Dialog mit allen Parteien suchen und mithelfen eine positive Atmosphäre für eine Kommunikation zwischen den Akteuren zu gestalten. Auch die bilateralen Maßnahmen, die vor allem von den politischen Stiftungen getragen werden und sich z.B. auf Erfahrungsaustausch und Weiterbildung nordkoreanischer Nachwuchskräfte verschiedener fachlicher Ausrichtung beziehen, sollten verstärkt werden, um eventuelle Reformkräfte im Land zu unterstützen und eine Basis für weitergehende Zusammenarbeit zu schaffen. Hinsichtlich der Leitlinien der EU bleibt zu hoffen, dass sie eine proaktive Politik der europäischen Staaten nicht zu sehr behindern. Sollte es dann in absehbarer Zeit wieder zu einer Überarbeitung kommen wäre es höchst wünschenswert, wenn sich die Staaten der EU dann auf einen Kompromiss einigen würden, der die eigenen Interessen stärker im Blick hat.

Tobias Dondelinger hat sein Studium der Politikwissenschaften, VWL und Germanistik an der Universität Trier 2009 abgeschlossen. Aktuell studiert er Deutsch und Politik &  Wirtschaft auf Lehramt an der Goethe Universität Frankfurt. Dem Thema seiner Magisterarbeit, der Systemstabilität Nordkoreas, blieb er nach seinem Studium treu, indem er seitdem regelmäßig  in seinem Blog über aktuelle Entwicklungen auf der Koreanischen Halbinsel informiert und diese kommentiert und analysiert.

Quelle Artikelbild: Wikipedia

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