Bundestagswahl im Visier? Lehren aus Frankreich und den USA

Lukas Posch │ 22. Juni 2017



PoschDrei Monate vor der Bundestagswahl werfen die vergangenen Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten und in Frankreich ihre langen Schatten auf Deutschland. Die Veröffentlichung von mehr als 2.000 Akten des NSA-Untersuchungsausschusses im Frühjahr 2015 stellte dabei nur den Anfang einer Entwicklung dar, die Ablauf und Ergebnis der Bundestagswahl beeinflussen könnte.

Anders als in Deutschland bestehen in den USA keine einheitlichen Regeln zum Ablauf von Wahlen und zur Zählweise der abgegebenen Stimmen. Dass dabei in einigen Bundesstaaten allein teils jahrzehntealte Wahlcomputer zum Einsatz kamen, sorgte für Misstrauen. Fehlzählungen und insbesondere Manipulationen wären nicht ausgeschlossen, hieß es insbesondere vonseiten einer lautstarken Minderheit der Unterstützer Donald J. Trumps. Monate vergingen und Donald Trump wurde doch gewählt – auch wenn etwa in Detroit in mehr als einem Drittel der Wahlbezirke mehr Stimmen abgegeben wurden als Wähler in den entsprechenden Verzeichnissen existieren.

Während die Anhaltspunkte für tatsächliches tampering gering waren, genügte das ausgelöste Misstrauen, um etwa auch in den Niederlanden bei der Wahl im März zu einem Rückgriff allein auf gedruckte Wahlzettel zu führen. Dieselbe Situation in Frankreich, wo ein Datenleck seinen Weg ins Internet und damit die Öffentlichkeit fand, nachdem die Kandidaten bereits schweigen mussten.

Die Motive waren noch fraglich, als rasch eine Verbindung von der Enthüllungsplattform Wikileaks nach Moskau gezogen wurde, wo die Verursacher der Lecks und damit des verstärkten Misstrauens in nationale politische Systeme vermutet wurden. Zugleich könnte der massive Wahlerfolg Macrons auch genau am Unwillen des Wahlvolkes liegen, ihre Demokratie so demontieren zu lassen. Die unterschiedlichen Konsequenzen der Angriffe erfordern für Deutschland eine differenzierte Betrachtung.

Deutschland – bisher verschont?

Bei einer Betrachtung des Vergangenen in Deutschland wird deutlich, dass der Bundestag und seine Mitglieder bereits mehrfach Ziele von Attacken geworden sind. Bereits der einmalige Zusammenbruch der Systeme des Bundestags genügte jedoch, um mehr als 2.000 Akten des NSA-Untersuchungsausschusses an die Öffentlichkeit zu bringen, auch, wenn andere Angriffe möglicherweise abgewehrt wurden.

Es ist unwahrscheinlich, dass etwas gestohlen und über lange Zeit nicht verwendet wurde – naheliegend wäre zunächst, dass Akteure, die Deutschlands aktueller Außenpolitik negativ gesinnt sind, dafür verantwortlich wären. Gerade diesen Staaten – zu denken ist etwa an Russland – sollte jedoch daran gelegen sein, die deutsche Politik ihnen gegenüber jetzt zu ändern und nicht etwa erst in einigen Jahren. Angesichts dessen, dass die jüngsten NSA-Leaks knapp ein halbes Jahr zurückliegen und dass bereits vor mehr als zwei Jahren Sitzungsprotokolle des Ausschusses veröffentlicht wurden, liegt nahe, dass die Hintermänner der Hacker an einer schnellen Veröffentlichung interessiert waren.

Was geschehen könnte, wenn in den letzten beiden Jahren jedoch beständig Daten abgesaugt worden wären, beschrieb unlängst etwa die ZEIT. Gleichzeitig stellt sich die Frage, welchen Zweck ein solches Vorgehen etwa für Russland hätte. Schon heute wird das Land unter Generalverdacht gestellt, sobald Daten gestohlen und veröffentlicht werden, und im Fall einer Veröffentlichung weiterer Daten scheint es unwahrscheinlich, dass politische Änderungen herbeigeführt würden zugunsten einer in Moskau gewünschten Richtung.

Gefahr in Deutschland durch stärkeren Parlamentarismus geringer

Zwar würde die Veröffentlichung von Daten zur Euro-Krise, zur Migrationskrise oder zum Brexit zu öffentlichen Diskussionen selten gesehenen Ausmaßes führen, doch gerade die NSA-Affäre zeigte, mit welcher Passivität die Deutschen auch auf Spionage reagieren. Im Unterschied zum US-amerikanischen oder französischen Wahlsystem ist durch die Wahl des Bundeskanzlers durch einen mittels Verhältniswahlrechts gewählten Bundestag die Möglichkeit, exekutive Entscheidungen durch Leaks zu beeinflussen, weit geringer. In den USA waren es 80.000 Personen, dank deren Wahlentscheidung Donald J. Trump Präsident wurde. In Frankreich hätten Angriffe, die Marine Le Pen den Wahlsieg beschert hätten, dazu geführt, dass diese nicht nur die Regierung ernennt, sondern gleichzeitig auch legislative Befugnisse durch den umstrittenen Artikel 49 der französischen Verfassung erlangt hätte.

Demgegenüber würden negative Veröffentlichungen in Deutschland lediglich die Stimmanteile im Bundestag verschieben und damit die Zusammensetzung der Bundesregierung indirekt beeinflussen. Der empfundene Schaden für die Legitimität des politischen Systems wäre größer als der tatsächlich angerichtete Schaden – zudem sind Parteien, die eine tatsächliche außenpolitische Richtungswende gemessen an der aktuellen Politik fordern, von der Koalitionsbildung weitgehend ausgeschlossen. Eine Erhöhung der Stimmanteile der AfD durch gesätes Misstrauen an der Flüchtlings- oder Währungspolitik würde dadurch abgefedert, dass keine Aussichten auf Koalitionsmitgliedschaft bestehen.

Destabilisierung der öffentlichen Debatte wäre kein Einzelfall

Umgekehrt könnten auch geringe Veränderungen an den Fraktionsstärken im Bundestag bestimmte Koalitionskonstellationen verunmöglichen. In Zeiten, in denen auf Landesebene wieder schwarz-gelbe Koalitionen an der Tagesordnung sind, ist auch mit der Situation zu rechnen, dass gezielte Leaks den Einzug der FDP in den Bundestag verhindern könnten.

Da sich auch nach jedem Leck weiterhin gemäßigte Koalitionen bilden würden, liegt nahe, dass der tatsächliche Zweck solcher Aktionen vielmehr darin liegen solle, das Vertrauen in die deutschen Institutionen zu verringern. Im Fall des ermordeten Mitarbeiters der US-Demokraten Seth Rich etwa führen die um den Fall gesponnenen Verschwörungstheorien dazu, dass ein Mythos erschaffen wurde, der als Erklärung für die Quelle der DNC-Leaks herhalten soll.

Genau dies könnten auch ausländische Akteure bezwecken – nicht bloß die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit, aber auch das beständige Einschwören derselben darauf, dass der Meinung der „Mainstream-Medien“ nicht zu trauen sei. Die Tatsache, dass mehr als ein Drittel der Deutschen etwa an Verschwörungstheorien glaubt, zeigt, dass der Boden, den die Hacker und Leaker beharken, fruchtbar ist.

Betrachtet man etwa die Theorie des sogenannten Overton-Window, nach welcher das beständige Äußern abwegiger Meinungen diese zunehmend von der Gesellschaft akzeptiert werden lässt, liegt das Ziel möglicher Leaks etwa darin, die deutsche Politik vielmehr in ihrer Richtung langsam zu beeinflussen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein bekannter, verdächtiger Akteur erfolgreich diese Richtung einschlägt.

 

Lukas Posch, 22, ist Vorsitzender der Initiative junger Transatlantiker e.V.

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