Deutschland muss viel mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen

Sebastian Bruns │ 09. November 2016



Die Katerstimmung am heutigen Morgen war förmlich mit den Händen zu greifen. Der Wahlausgang in den USA hat weite Teile der deutschen Öffentlichkeit, der Politik und nicht zuletzt der Wissenschaft tief getroffen. Mich persönlich überrascht er hingegen nicht sonderlich, auch wenn mich das Ergebnis betroffen macht. Offenbar hat man in Deutschland geradezu autosuggestiv auf Hillary Clinton setzen wollen, ohne auch nur im Ansatz begreifen zu wollen, welche politischen und sozialen Dynamiken in den USA am Werk sind.

Gleichwohl: Ein Präsident Donald Trump wird nicht alles von dem umsetzen, was er vollmundig im Wahlkampf versprochen oder womit er gedroht hat. Vieles kommt auf die Besetzung von zentralen Ämtern und Posten an. Im Dezember und Januar wissen wir mehr. Es bleibt zudem die vage Hoffnung, Trump könne trotz konservativer Mehrheit im Kongress eben nicht ohne Weiteres ‚durchregieren‘ können. Diese Aussicht ist sehr bedrückend.

Es ist an der Zeit, dass wir uns in Deutschland an den Gedanken gewöhnen, bald und sehr drastisch mehr sicherheitspolitische Verantwortung in einer zunehmend chaotischeren Welt übernehmen zu müssen. Leider bleibt schon unser eigenes Weißbuch zur Sicherheitspolitik 2016 bereits hinter den Erwartungen zurück. Wo liegt unsere Zukunft dabei, in welchen Foren, mit welchem Mix an Instrumenten? EU, NATO, UN, bilateral? Und was könnten sich die uns nicht so wohl gesonnenen Mächte und Player einfallen lassen, um die Überzeugungen und Willensstärke des künftigen Präsidenten Trump auszutesten? Es bleibt ein tiefes Unwohlsein - auch und vor allem bei jenen, die intensiv an auskömmlichen deutsch-amerikanischen Sicherheits- und Wirtschaftsbeziehungen arbeiten. Heute, morgen und in den kommenden Jahren.

Dr. Sebastian Bruns ist Experte für transatlantische Beziehungen am Institut für Sicherheitspolitik (ISPK) und ehemaliger Wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Republikanischen Abgeordneten im US-Kongress.

2 Kommentare

  1. Dr. Nikolaus Scholik Says:

    Ein Paradigmenwechsel in der amerikanischen Sicherheitspolitik?

    Die Wahl von Donald Trump wird in den USA die seit Jahren auf akademischem Boden sehr intensiv geführte Diskussion über eine Änderung, Anpassung oder gar Neufassung der Grand Strategy weiter anheizen.

    Mearsheimers treffende Einführung des Begriffes „offshore balancing“, also des sicherheitspolitisch-militärischen Ausbalancierens aus den eigenen, sicheren Grenzen heraus durch überlegenen Machteinsatz bei Bedarf könnte das seit Jahzehnten von allen Präsidenten mehr oder minder unterstützte aktuelle System des forward deployment, andauernde militärische, vor allem maritime Präsenz in für die USA wichtigen Räumen, ersetzen.
    Ein Kernelement des offshore balancing ist allerdings der massive Übergang von sicherheitspolitischer Verantwortung auf Alliierte und Partner - auf allen Ebenen.

    Die seit Jahrzehnten gepflogene Sicherheitspolitik dieser Partner, in NATO und/oder bilatetal mit den USA, je nach Gestaltung und vor allem unter dem amerikanischen Atomschirm,bei geringsten Eigenanstrengungen permanent maximale Sicherheit durch die USA einzufordern, ist zu Ende.

    Die Wahlkampfaussagen und Vorstellungen des Kandidaten und nunmehr President elect zu den Problemen und Fragen der amerikanischen und internationalen Sicherheitspolitik waren spärlich, oberflächlich und zeigten partiell sogar Unkenntnis - ein Zustand, den nun Berater und hohe Militärs, auch und vor allem aus dem eigenen Lager, raschest beheben müssen. President Trump übernimmt am 20. Januar 2017 eine Hauptverantwortung für die nationale und die internationale Sicherheit. Das führt mit grösster Wahrscheinlichkeit zum Start für die Umsetzung eines seiner Wahlversprechen: Übergabe von Sicherheitsverantwortung - und Kosten! - an die Alliierten/Partner. No free-riding any more…

    Während Japan diese Entwicklung, die ja schon vor Trump spürbar begonnen hat erkannte und zu handeln begann, haben die europäischen Partner, vornehmlich Deutschland, Frankreich und die EU weiter an ihrer bewährten Politik
    einer maximalen sicherheitspolitischen Verantwortungsverlagerung unter geringstem eigenem Aufwand
    festgehalten.

    Unseliger Weise scheinen die Regierenden diese Zeichen weder sehen, geschweige denn aus deten Erkenntnis verantwortlich handeln zu wollen. Frankreich bleibt durch Präsidenten- und Parlamentswahlen bis Mitte 2017 extrem handlungseingeschränkt, Deutschland … ja, was will, beziehungsweise macht eigentlich Deutschland? Und über die EU breitet man besser den Mantel des sicherheitspolitischen Schweigens.
    Herr Juncker stellt im gleichen Absatz einer Aussendung der Kommission fest, dass es keinen Europäischen Bundesstaat geben wird, „weil die Menschen das nicht wollen“ um sofort anschliessend eine Europäische Armee zu fordern … ist das naiv, zynisch oder gar populistisch?

    Was mögen wohl die Herren Putin und Xi Jinping über all das denken?

  2. Alexander Pishchalnikov Says:

    “Was mögen wohl die Herren Putin und Xi Jinping über all das denken?“
    Eine gute Frage! Ich weiss gar nicht was Xi denkt, aber ich glaube, dass wir jetzt die Chance haben, sich zu vergewissern dass je geringer die amerikanische “Sicherheitsmaßnahmen“ gegen Russland sind, desto kleiner die “russische Bedrohung“ wird.






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