Außenpolitik: Erfordernisse, Anspruch und Wirklichkeit

Joerg Wolf │ 11. August 2016



Die Bundeszentrale für politische Bildung hat in ihrer Reihe “Aus Politik und Zeitgeschichte” eine sehr interessante Ausgabe zur deutschen Außenpolitik veröffentlicht. Besonders empfehlenswert finde ich vier von acht Aufsätzen:

Josef Janning (ECFR): Suche nach Gestaltungsmacht. Deutschlands Außenpolitik in Europa

Gunter Hellmann (Uni Frankfurt): Zwischen Gestaltungsmacht und Hegemoniefalle. Zur neuesten Debatte über eine „neue deutsche Außenpolitik“

Lilia Shevtsova (Chatham House): Falle Ostpolitik?

Claudia Major, Christian Mölling (SWP bzw. GMFUS): Von Libyen nach Syrien. Die Rolle des Militärs in einer neuen deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik


Josef Janning
argumentiert, dass es “nicht allein die historischen Belastungen und die finanziellen Nutzenerwägungen [sind], aus denen die Zurückhaltung der Deutschen gegenüber einer führenden Rolle in der europäischen Politik resultiert.” Es kämen mindestens drei weitere Aspekte hinzu:

  1. “Das Problem der Vermittlung nach innen: Der Appell an Größe und Würde verfängt nicht in einer eher nüchternen Nation wie der deutschen. Die aus Paris oder London zu hörende pathetische Rhetorik würde in Deutschland eher Argwohn als Zustimmung erzeugen. Dies hat die Bundeskanzlerin zuletzt mit ihrer Beschwörung der Leistungsfähigkeit Deutschlands in der Flüchtlingskrise erfahren.“
  2. Die Unordnung im internationalen System, “in dem Regeln, Werte und Prozesse der Staatenwelt infrage gestellt werden” und die Vorliebe der “politischen Klasse in Deutschland lieber das Management globaler Interdependenzen [zu] betreiben.” Janning prägt den schönen Begriff der Belohnungsmacht: “Von ihrer Grundeinstellung und ihren Möglichkeiten her ist die Bundesrepublik eine Belohnungsmacht, die positive Entwicklungen und Potenziale verstärken und verstetigen möchte. In der Außenpolitik bevorzugt sie Win-win-Situationen und vertrauensvolle Beziehungen, möchte Chancen nutzen, statt Risiken zu kontrollieren oder einzudämmen.”
  3. “Die außenpolitische Kultur: Deutschland widerstrebt die Exponiertheit und Einsamkeit einer führenden Rolle.”

Zur “deutschen Frage”:

“Es gibt seitens der klassischen Großmächte keine ordnungspolitische Strategie mehr für Europa: Das Interesse der Vereinigten Staaten an Europa schwindet, und Deutschlands Stärke wird in Washington eher als Chance denn als Problem wahrgenommen; Russland betreibt nicht die Ordnung Europas sondern deren Relativierung; Frankreich und Großbritannien fehlt die Kraft oder der Wille, Europas Ordnung zu prägen. Die traditionelle Antwort auf das Problem der deutschen Macht in der Mitte Europas, nämlich die Durchsetzung einer Ordnung, die Deutschland seinen Platz zuweist, fällt aus.”

 

Gunter Hellmann thematisiert die “neueste Debatte über eine ‘neue deutsche Außenpolitik’”, u.a. das neue Weißbuch, in dem es heißt: „Deutschland ist bereit, sich früh, entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen.“

Bundespräsident Gauck hingegen klang im im Januar 2014 ambitionierter bzw. selbstkritischer: „Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen.“

So schreibt Professor Hellmann denn auch: „Wer in dieser pointierten Relativierung einer ambitionierten früheren Stellungnahme eine gewisse Ernüchterung über die Möglichkeiten und Grenzen deutscher Außenpolitik zu erkennen glaubt, liegt vermutlich nicht falsch.“ Allerdings bezog sich der Bundespräsident eigentlich nur auf die Prävention von Konflikten. Sein Zitat wurde jedoch allgemein als neuer Anspruch an die gesamte Sicherheitspolitik gedeutet, was den Autoren des Weißbuch bewusst sein sollte.

 

Claudia Major und Christian Mölling stellen fest: “Verteidigungspolitik bleibt das Problemkind der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Gleichzeitig lässt das sich schnell und gewaltsam verändernde Sicherheitsumfeld Deutschland keine Atempause”. Einige aus meiner Sicht besonders interessante Zitate:

Die derzeitigen Budgeterhöhungen werden nicht ausreichen, um das Fähigkeitsprofil über die nächste Dekade stabil zu halten oder sogar zu steigern. Dies würde jährlich drei bis fünf Milliarden Euro mehr erfordern.”

“So führte Deutschland etwa innerhalb der Europäischen Union die Initiative für mehr Verteidigungskooperation (pooling & sharing), trug jedoch ebenso wenig zu ihrer Umsetzung bei wie alle anderen.”

”einen ambitionierten, international und national partizipativ gestalteten „Review-Prozess“ der deutschen Außenpolitik. Wesentliches Ergebnis ist die Reorganisation des Ministeriums. Im Abschlussbericht gibt es keine expliziten Bezüge zur Sicherheits- oder Verteidigungspolitik. Auch sonst leitet das Auswärtige Amt die Folgen des Review-Prozesses für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik kaum ab.”

“So ist Deutschland beispielsweise der größte europäische Truppensteller für Rückversicherungs- und Anpassungsmaßnahmen und übernahm 2015 als erstes Land die Führung der neuen schnellen Eingreiftruppe. Diese starke Beteiligung an der traditionellen Bündnisverteidigung bleibt bislang weitgehend unkontrovers.”

“Rüstung als Teil von Sicherheitspolitik ist ein deutsches Tabuthema.”

”Die Bundesregierung liefert auch weiterhin keine sicherheitspolitische Begründung für Exporte.”

Zum Rahmennationenkonzept:

“Dieses sieht vor, dass angesichts schrumpfender nationaler Streitkräfte jene Armeen, die wie die Bundeswehr im Vergleich noch schlagkräftig genug sind, als Rückgrat für multinationale Verbände dienen sollen: Kleinere Armeen anderer Staaten können sich hier einklinken, sodass größere Verbände entstehen, die länger einsatzfähig sind. (…) Bislang liegen noch keine sichtbaren Ergebnisse vor, die Umsetzung solcher Konzepte dauert. (…) Greifbarer geht die Kooperation auf bilateraler Ebene voran. Beispielhaft ist etwa die Integration der deutschen und niederländischen Heere seit 2014.”

“Der Begriff der sicherheitspolitischen Verantwortung [muss] ausbuchstabiert werden,” fordern Major und Mölling:

“Hierzu sollte Deutschland eine eigene sicherheitspolitische Konzeption entwickeln. Das gilt in geografischer Hinsicht, etwa für den Nordosten Europas, wo es Sicherheit im Wesentlichen über die NATO und die Europäische Union gestaltet, wie auch für funktionale Themen wie Energie und kritische Infrastrukturen. Die besondere Herausforderung wird darin liegen, die in der Realität bereits weitgehend aufgehobene Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit auch in der Bundesregierung nachzuvollziehen.”

Es gelte auch “die Bevölkerung in Deutschland mitzunehmen”:

“Für die außenpolitischen Ambitionen der Bundesregierung ist nach wie vor nur ein geringer gesellschaftlicher Rückhalt festzustellen. Doch gerade in Deutschland, wo Sicherheitspolitik nicht auf einem etablierten Konsens aufbaut, sondern stets neu definiert werden muss, ist die Unterstützung durch die Bevölkerung wichtig. Wenn Deutschland glaubhaft seine Verlässlichkeit beweisen möchte, wird es seine Entscheidungen für oder gegen Einsätze sicherheitspolitisch begründen müssen – und das vor allem zuhause. Bundesregierung und Parlament werden.”

 

Lilia Shevtsova zur deutschen Ostpolitik:

„der marxistische Glaube, Wirtschaftsbeziehungen könnten den Weg für Veränderungen in Russland bereiten“

„ein beachtlicher Teil des deutschen Establishments einschließlich der Wirtschaft nach wie vor zur Ostpolitik tendiert. Wie anders soll man Berlins Bestreben beurteilen, die Gasleitung „Nord Stream 2″ zu bauen, was nichts anderes ist als ein Versuch des Kreml, sein Energiediktat in Europa aufrechtzuerhalten? Russland wird so nicht aus der Rolle eines Petrostaates herauskommen, der sich jeder politischen Modernisierung widersetzt.“

„Und die Forderung nach ‚Gleichheit‘ bedeutet nichts anderes als das Recht Russlands, ‚gleicher‘ als andere zu sein und geltendes Völkerrecht zu verletzen.“

„Der Rückzug der Vereinigten Staaten aus Europa und die Neuauflage der Ostpolitik, nunmehr als Politik der Europäischen Union, haben dabei eine Rolle gespielt: Sie haben den Kreml zu der Überzeugung gebracht, dass das „Zeitalter des Westens“ vorbei sei und es nun darum gehe, das dadurch entstandene Vakuum zu füllen. Oswald Spenglers Idee vom „Untergang des Abendlandes“ wurde eine der Grundannahmen des außenpolitischen Konzepts Moskaus“

Ich hoffe, diese Zitate-Happen motivieren zur Lektüre der vollständigen Artikel dieser APUZ Ausgabe, die kostenlos online gelesen, als PDF abgerufen und auch als gedruckte Ausgabe bestellt werden kann.

Joerg Wolf ist Redakteur der Atlantischen Initiative. Er tweeted privat unter @transatlantic

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