Bringen Schiedsgerichte Rechtssicherheit oder gefährden sie die Demokratie?

Joerg Wolf │ 22. Oktober 2015



Die größte Kritik an TTIP richtet sich gegen die Einführung von Schiedsgerichten. Diese könnten von amerikanischen Investoren eingeschaltet werden, wenn sie sich von einem der EU Staaten diskriminiert sehen. Genauso könnten Investoren aus der EU dann gegen den amerikanischen Staat klagen. Dieses sogenannte „Investor-State Dispute Settlement“ (ISDS) wird seit Jahrzehnten in Freihandelsabkommen aufgenommen, um ausländische Unternehmen vor Enteignung durch das Gastland zu schützen und andere Formen der Diskriminierung durch dessen staatlich bestellte Richter zu vermeiden.

Ist so ein Investorenschutz jedoch auch für ein Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, also zwei engen Partnern, starken Rechtsstaaten und gefestigten Demokratien notwendig?

Frank Schäffler, Gründer der Denkfabrik „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ und FDP-Bundestagsabgeordneter von 2005 bis 2013, argumentiert, dass Schiedsgerichte auch zwischen der EU und den USA richtig und notwendig sind, während Petra Pinzler von „Die Zeit“ vor den Risiken warnt.

Frank Schäffler schreibt in einem Artikel für die liberal-konservative Meinungsseite „Tichys Einblick“:

Schiedsgerichte sind richtig und notwendig. Sie sind auch nichts Ungewöhnliches. Der Kaninchenzüchterverband hat eins, der „Bund für Umwelt und Naturschutz“ (BUND) hat eins und der Deutsche Gewerkschaftsbund hat auch eins. Deren private Gerichte tagen nichtöffentlich, ihre Richter müssen nicht im Hauptberuf Richter sein und eine Revision vor einem ordentlichen staatlichen Gericht ist ebenfalls nicht möglich. Kein Vereinsmeier und kein Gewerkschaftsfunktionär käme deshalb auf die Idee, diese privaten Schiedsgerichte an einen staatlichen Gerichtshof zu verlagern. Und der DGB würde mit Recht sagen: „Was interessiert das den Deutschen Arbeitgeberverband wie wir unsere internen Streitigkeiten beilegen?“

Schäffler kritisiert die Darstellung von Schiedsgerichten in einer „investigativen“ ARD-Sendung am 19. Oktober und argumentiert, dass ISDS Rechtssicherheit schafft:

Als Beispiel hat die ARD die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen das Land Hamburg um das Kohlekraftwerk Moorburg angeführt. Der CDU-Senat bewilligte 2005 das Projekt. 2008 verteuerte die grüne Umweltsenatorin mit immer neuen Auflagen die Investition. Dagegen klagte Vattenfall vor einem internationalen Schiedsgericht auf Schadenersatz von 1,4 Milliarden Euro. Dieser Druck führte dazu, dass das Land Hamburg sich auf Vattenfall zubewegte und man sich anschließend außergerichtlich einigte.

Ohne diese Klagemöglichkeit wäre die Investition für Vattenfall unrentabel geworden. Schiedsgerichte schaffen Rechtssicherheit für ausländische Investoren. Sie müssen sich nicht auf nationale Richter verlassen, die vom dortigen Staat bestellt und bezahlt werden.

 

Petra Pinzler erläutert im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass es 185 laufende Fälle vor internationalen Schiedsgerichten gibt und die Zahl der Verfahren im Moment „explodiert“. Gesetzgeber könnten aus Sorge verklagt zu werden, wichtige Gesetze nicht verabschieden:

Pinzler: Das Problem ist diese besondere Art der Wachstumsbranche, wenn man sozusagen Risikokapital dafür ausgeben kann, dass Unternehmen mal versuchsweise Staaten verklagen können, um zu schauen, ob sie möglicherweise damit Geld verdienen können. Es können bei diesen privaten Schiedsverfahren ja immer nur die Unternehmen gewinnen. Die Staaten gehen vielleicht plus/minus null raus, bestenfalls, oder sie verlieren und müssen Schadensersatz zahlen, und in einer ganzen Reihe von Ländern hat das dazu geführt, dass sich diese Länder oder diese Regierungen nicht mehr trauen, bestimmte Gesetze zu machen, weil sie sagen, möglicherweise werden wir vielleicht verklagt.

Schulz: Aber was spricht denn dafür, dass sich in Europa die Regierungen nicht mehr trauen, Gesetze zu machen? Es gibt ja dieses Beispiel, die Klage von Vattenfall gegen die Bundesregierung, gegen die Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs. Aber das hat ja die Bundesregierung nicht daran gehindert?

Pinzler: Dieses Gesetz zu machen, ja. Aber warum geben wir Vattenfall das besondere Recht, nach Washington vor ein privates Schiedsgericht zu ziehen, während die anderen deutschen Energieunternehmen vor deutschen Gerichten klagen müssen und dort möglicherweise Recht oder auch nicht Recht bekommen, aber sich mit Sicherheit nicht darüber beschweren, dass sie falsch behandelt werden. Das Problem ist vielleicht auch in diesem Fall weniger Deutschland, sondern das sind die vielen anderen Länder, die nicht ganz so stark und so selbstbewusst sind wie Deutschland, die dann Schwierigkeiten haben oder sich nicht mehr trauen, bestimmte Gesetze zu machen. Neuseeland, kein Entwicklungsland, wartet beispielsweise damit, auf die Zigarettenpackungen draufzudrucken, „Rauchen schadet Ihrer Gesundheit“, weil es ein Schiedsgerichtsverfahren gegen Australien gibt und Neuseeland sagt, schauen wir mal, warten wir mal ab, vielleicht kann uns das auch blühen, was Australien passiert, gucken wir mal, wie dieses Verfahren ausgeht. Und jedes Jahr länger, wo es dieses Gesetz nicht gibt, bringt der Zigarettenindustrie Millionen an zusätzlichen Gewinnen.

Aufgrund dieser Kontroverse hat die EU Kommission eine Alternative zu den Schiedsgerichten vorgeschlagen.

Jörg Wolf ist Redakteur von und atlantic-community.org

Dieser Beitrag ist Teil unseres Projektes „TTIP Review“ auf atlantic-community.org, unserem Open Think on Foreign Policy und gefördert durch die US Botschaft Berlin. Dort finden Sie weitere englischsprachige Artikel zu TTIP. Unsere deutschsprachigen Artikel zur transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft stehen hier.

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