Gegen Zivilklauseln und für mehr Vertrauen in die Unabhängigkeit der Wissenschaft

Redaktion │ 18. Juli 2013



Zwölf deutsche Universitäten haben sich verpflichtet, mit Lehre, Forschung und Studium nur zivilen Zwecken zu dienen. Diese so genannten „Zivilklauseln“ stellen jedoch eine unzulässige Einschränkung von Forschung und Lehre im Bereich Sicherheitspolitik dar. Das ist das zentrale Argument dieses Gastartikels von acht Mitarbeitern und Doktoranden des Instituts für Sozialwissenschaften/Institut für Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, wo ebenfalls die Einführung einer Klausel gefordert wird. Die Autoren sind für das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) tätig und stellen dar, warum solche „Zivilklauseln“ der Wissenschaft, der Politik und der Demokratie insgesamt schaden.

Die Forderung einiger studentischer Gruppen, „Zivilklauseln“ an deutschen Universitäten einzuführen, hat in den vergangenen Tagen und Wochen vermehrt im Zentrum des Medieninteresses gestanden. Dabei hat die bisweilen äußerst undifferenzierte Berichterstattung fehlerhaften Assoziationen Vorschub geleistet. In einigen Medien wurden einzelne Forschungsprojekte des ISPK teilweise grotesk verzerrt dargestellt. Aus der Arbeit über Abrüstung und Nicht-Verbreitung von Kernwaffen wurde so ein Projekt über den Zuwachs (sic!) von Massenvernichtungswaffen. Die Untersuchung der durch die NATO in Afghanistan angewendeten zivil-militärischen Counterinsurgency-Strategie wurde absurderweise in die Nähe einer brutalen “Niederschlagung von Aufständen” gerückt. Impliziert wird damit, dass die Arbeit des Instituts dem Wahlspruch der Universität, „Pax Optima Rerum“, entgegenstünde und gleichsam das Friedensgebot des Grundgesetzes unterlaufe.

Anders als in den Medien dargelegt, hat das Institut für die sicherheitspolitische Forschung auch keineswegs 2,7 Mio. Euro über den Zeitraum von sieben Jahren vom Bundesministerium der Verteidigung erhalten. Diese Summe ging an die gesamte Christian-Albrechts-Universität – und machte dabei dennoch nur etwa 1% aller erhaltenen Forschungs-Drittmittel aus. Insgesamt stellt die durch das Bundesministerium der Verteidigung geförderte Projektarbeit nur einen kleinen Teil des breiten Spektrums an Forschung am ISPK dar. So zählen zu den weiteren Forschungsbereichen beispielsweise Regional- und Länderstudien zu zahlreichen Krisengebieten, Ursachen von Instabilität und politischer Gewalt, Konfliktdynamiken in Bürgerkriegen, Terrorismus, Deradikalisierungsprogramme und Konfliktprävention, transatlantische Beziehungen, vernetzte Sicherheit, die Rolle von internationalen Organisationen in komplexen Interventionen oder maritime Sicherheit.

Forschung nicht verklausulieren
Die Pläne zur Umsetzung der derzeit in Kiel diskutierten „Zivilklausel“ lassen sich bisher nur in groben Zügen skizzieren. Als Formulierung steht der zur Abstimmung gebrachte Wortlaut „Forschung, Studium und Lehre sind zivil, dienen friedlichen Zwecken und sind frei von Kooperation mit Rüstungskonzernen und militärischen Akteuren“ im Raum. So wird  darüber nachgedacht, dass eine paritätisch besetzte Kommission aus Studierenden, Mittelbau, Verwaltungsangestellten und Professoren über die Einhaltung der Klausel wacht. Durch diesen Schritt versprechen sich die Initiatoren, dass die Demokratie an der Hochschule und die Freiheit der Forschung gestärkt würden. Sie liefern jedoch keine Belege, wie man sich diesen Zusammenhang konkret vorstellen darf.

Eine derartige Klausel wirkt auf den ersten Blick nachvollziehbar: jeder will Frieden, keiner will Krieg. Interessanterweise spricht aber niemand von „Friedensklausel“. Vielmehr geht es darum, den Kontakt zwischen Universitäten und der Bundeswehr sowie der wehrtechnischen Industrie zu unterbinden. Universitäre Forschung dürfe, so die Forderung, ausschließlich zivilen Zwecken dienen. Dies ist jedoch etwas anderes als das selbstverständliche Bekenntnis zum Frieden. Jener kleine sprachliche Unterschied ist von erheblicher Bedeutung. Während die Friedensfinalität ohnehin fester Bestandteil des Grundgesetzes ist und daher jede Klausel zum Schutz dieses unstrittigen Grundsatzes obsolet macht, handelt es sich bei den mit einer „Zivilklausel“ verbundenen Forderungen um einen klaren Eingriff in Freiheit von Forschung und Lehre. Dies steht im Konflikt mit Artikel 5 (3) des Grundgesetzes, der eben diese Freiheit aus guten Gründen garantiert.

Für die Entwicklung einer sicherheitspolitischen Kultur
Sicherheitspolitik ist laut Duden „die Politik, die darauf abzielt, militärische Gewalt zu vermeiden oder einzudämmen.“ Dass die Ziele der Sicherheitspolitik zu begrüßen sind, sollte unstrittig sein. Dass das Thema Sicherheitspolitik eine hohe Relevanz besitzt, wird durch die mediale Berichterstattung über die zahlreichen Krisen und Konflikte in dieser Welt sowie deren Folgen täglich aufs Neue unterstrichen. Es steht außer Frage, dass Sicherheitspolitik daher Gegenstand unabhängiger wissenschaftlicher Forschung sein muss. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich in Deutschland – im Gegensatz zu den meisten anderen international engagierten Staaten – nur sehr wenige universitäre Institutionen mit Fragen der Sicherheitspolitik befassen.

Das Bundesministerium der Verteidigung, das Auswärtige Amt und – im Hinblick auf die innere Sicherheit – das Bundeministerium des Inneren sind die in Deutschland für Sicherheitspolitik primär zuständigen Ressorts. Wie alle anderen Ministerien beziehen auch sie die Ergebnisse externer Beratung durch unabhängige akademische Institutionen in ihre Planungs- und Entscheidungsprozesse mit ein.

Dies ist nicht zuletzt aus zwei Gründen wichtig: Erstens sind die meisten sicherheitspolitisch relevanten Themen – wie andere politische Fachbereiche auch – mit hochkomplexen und zum Teil sehr speziellen Fragestellungen verbunden. Abgesehen davon, dass die Ministerien selbst den zur Beantwortung dieser Fragen notwendigen Zeit- und Personalansatz bzw. das Fachwissen oft nicht bereitstellen können, ist es in jedem Fall zielführend, Expertise und zusätzliche Perspektiven von außen einzuholen.

Zweitens garantiert die Einbindung unabhängiger wissenschaftlicher Institutionen in die Arbeit der Ministerien, dass sicherheitspolitische Probleme nicht allein in einer von der Zivilgesellschaft isolierten „Blackbox“ diskutiert werden. Universitäre Forschung ist daher nicht nur wichtig, um die Bundesregierung – und auch den Bundestag – darin zu unterstützen, die bestmöglichen Antworten auf die zahlreichen sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit zu finden, sondern sie trägt diese Fragen auch in die Mitte der Gesellschaft. So bilden sicherheitspolitische Forschung, entsprechende Publikationen und Vortragsveranstaltungen das Fundament einer notwendigen gesellschaftlichen Debatte. Wer eine transparente Sicherheitspolitik fordert, der sollte gerade daran interessiert sein, dass öffentliche Forschungsinstitutionen darin eingebunden werden.

Wird dieser Forschungsbereich in Deutschland weiter eingeschränkt, besteht hingegen die unmittelbare Gefahr, dass sicherheitspolitisch relevante Entscheidungen zukünftig auf einer deutlich dünneren Wissensgrundlage getroffen werden, Entscheidungsträger sich allein auf die Ergebnisse außeruniversitärer oder ausländischer Forschung verlassen müssen und die deutsche Sicherheitspolitik zunehmend von der Zivilgesellschaft isoliert wird. Das Gegenteil muss jedoch das Ziel sein: Die Zusammenarbeit zwischen den Ministerien und den Universitäten ist zwingend notwendig. Sie sollte daher nicht eingeschränkt, sondern vielmehr von Bund und Ländern umfassend gefördert werden.

Im Auftrag des Verteidigungsministerium zu forschen ist keineswegs verwerflich, wie es die Befürworter einer Klausel glauben machen wollen. Es ist bedenklich, dass im Rahmen dieser Debatte tatsächlich noch einmal darauf hingewiesen werden muss, dass die Bundeswehr eine fest in der deutschen Verfassung verankerte Institution und darüber hinaus eine Parlamentsarmee ist. Der Einsatz der Bundeswehr erfolgt demnach ausschließlich auf Grundlage eines durch den Bundestag verabschiedeten Mandats und ist somit vollumfänglich demokratisch legitimiert. Einige Befürworter der „Zivilklausel“ lehnen die Bundeswehr nicht grundsätzlich ab, kritisieren aber deren Interaktion mit ihrer Universität. Die Verflechtung von Militär und Gesellschaft ist aber nicht das Ergebnis einer vermuteten subversiven Militarisierungsstrategie, sondern ein erklärter politischer Grundwert in Deutschland. Gerade die Hochschulen sollten sich diesem Austausch nicht mit Zivilklauseln verwehren, sondern hier einen aktiven Beitrag leisten. Die Debatte über die Bedeutung und das Verständnis von Frieden, Sicherheit und Verteidigung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch an Universitäten stattfinden muss. Natürlich darf Kooperation keinesfalls Kritik ausschließen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass bestehende „Zivilklauseln“ häufig instrumentalisiert werden, um jede Form von Dialog – auch eine kritische – zu unterbinden. Dies geschieht nicht selten mit Mitteln, die sehr befremdlich und bedenklich erscheinen. An anderen Universitäten, z.B. in Tübingen und Frankfurt, wurden bereits sicherheitspolitische Veranstaltungen – ohne dass Bundeswehr oder das Verteidigungsministerium beteiligt gewesen wären – mit Verweis auf die „Zivilklausel“ massiv gestört. Auch wenn bei Einführung der „Zivilklausel“ niemand derartiges beabsichtigt, sind die Fälle solchen nachträglichen Missbrauchs leider zahlreich. Allerspätestens hier ist das Grundrecht auf Freiheit von Forschung und Lehre massiv und nachhaltig verletzt.

Mehr Vertrauen in die Unabhängigkeit der Wissenschaft setzen
Auch die praktische Durchsetzbarkeit einer „Zivilklausel“ ist fragwürdig. Dass beispielsweise technische und naturwissenschaftliche Forschung der Bundeswehr, dem Bundesverteidigungsministerium oder Rüstungsunternehmen garantiert nicht zugutekommt, kann aufgrund der so genannten Dual-Use-Problematik selten ausgeschlossen werden. Wenn etwa an einer Universität ein fortschrittlicher technischer Werkstoff entwickelt wird, kann dieser natürlich nicht nur in der zivilen, sondern auch in der militärischen Luftfahrt Verwendung finden. In den Augen der „Zivilklausel“-Befürworter wird hier die Finanzierungsquelle von wissenschaftlichen Projekten zu einem maßgeblichen Kriterium für die Legitimität von Forschung. Das heißt, ein von der Bundeswehr oder dem Verteidigungsministerium (im Namen der Bundesrepublik Deutschland) finanziertes Projekt wäre per se verdächtig, während ein identisches Projekt mit anderem Finanzierungshintergrund nicht einmal gesteigerte Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Zu denken wäre an das mehrjährige Forschungsvorhaben zum Thema Piraterie und maritimer Terrorismus, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung  getragen wurde; ein ähnliches Vorhaben, finanziert vom Bundesministerium der Verteidigung, wäre nach Ansicht der „Zivilklausel“-Befürworter wohl kaum an einer öffentlichen Hochschule tragbar. Diese dogmatische Benachteiligung von Bundeswehr und Verteidigungsministerium, die einem faktischen Ausschluss gleichkommt, ist äußerst fragwürdig.

„Zivilklausel“? – Zuvielklausel!
Wie in diesem Essay deutlich wurde, ist ein offener und kritischer Dialog über Fragen der Sicherheitspolitik notwendig und ausdrücklich zu begrüßen. Allerdings: Das akademische Miteinander an der Universität mit einer „Zivilklausel“ autoritär zu beenden und Forschungsmöglichkeiten einzuschränken schadet der pluralistischen Natur der Hochschule, führt zu einer kontraproduktiven Politisierung von Forschung zu sicherheitspolitischen Fragen und ist unvereinbar mit den Werten einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft.

Sebastian Bruns, Curti Covi, Stefan Hansen, Jannis Jost, Christian Patz, Jonas Schneider, Robin Schroeder und Florian Wätzel sind Mitarbeiter und Doktoranden am Institut für Sozialwissenschaften/Institut für Politikwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

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