Diktatoren küssen oder kritisieren?

Joerg Wolf │ 25. Februar 2013



Vielleicht entsteht jetzt gerade eine breiter angelegte Debatte zur deutschen Außenpolitik, insbesondere zur Außenwirtschaftspolitik. Zu wünschen wäre es. In der aktuellen Ausgabe von Internationale Politik (IP) findet sich ein guter Aufsatz von Dr. Guido Steinberg: “Deutschland und die Diktatoren: Berlins Politik gegenüber der arabischen Welt ist korrekturbedürftig” Der Nahost- und Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) kritisiert, dass Berlin „gegenüber den verbliebenen Diktatoren in Saudi-Arabien und anderswo am Golf weiter einen Kurs fährt, als hätte es den Arabischen Frühling nicht gegeben. Das sei nicht nur widersprüchlich, sondern kontraproduktiv.

Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Herausgeber der IP, steht jedoch auch selbst in der Kritik. So schreibt Jörg Lau in der aktuellen Ausgabe von Die Zeit über Die deutsche Liebe zu den Diktatoren. Er kritisiert namentlich nicht nur Hans-Dietrich Genscher dafür, das Image von Kasachstan und Aserbaidschan aufzubessern, sondern auch den Bundestagsabgeordneten Philipp Mißfelder, u.a. für einen Aufsatz in einer DGAP-Publikation. Ich finde die Kritik unangemessen scharf und nicht überzeugend. (Ich könnte das auch inhaltlich begründen, aber dann würde sicherlich gleich der Einwand kommen, Mißfelder sei doch im Beirat der Atlantischen Initiative.)

Ein Auszug aus Laus Kritik an der DGAP, die er gleich zweimal als „regierungsnah“ bezeichnet:

Die DGAP, von Regierung und Industrie gefördert, ist gleichzeitig Honoratiorenverein, Thinktank und elitärer Salon, der durchreisenden Präsidenten, Ministern und Botschaftern eine Bühne bietet. Ihr intellektueller Kopf ist der Leiter des Forschungsinstituts, der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider, ein angesehener China-Experte. Im Frühjahr 2012 hat er einen programmatischen Aufsatz über Deutschland als »Gestaltungsmacht in der Kontinuitätsfalle« veröffentlicht. Er fürchtet, die deutsche Außenpolitik könnte »durch eine zu starke Orientierung an historischer Kontinuität und einen überfrachteten Wertediskurs unfähig sein, schnell und effizient auf neue Herausforderungen zu reagieren«.

Wer die DGAP unter Sandschneiders Leitung verfolgt, erkennt ein Leitmotiv: Kritik an »unrealistischen Wertebezügen«. Man kann das so übersetzen: Deutschlands Außenpolitik leidet unter allzu vielen moralischen Bedenken. Kaum ein Strategiepapier kommt ohne die unterschwellige Botschaft aus, Deutschland stehe sich mit seinen Rücksichten auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat selber im Weg. Wenn Sandschneider einmal kritische Worte für die Merkelsche Politik findet, dann »für den Bezug auf die Wertegeleitetheit [sic!] deutscher Außenpolitik, die von der derzeitigen Bundesregierung besonders nachdrücklich betont wird«.

Harte Worte, die hoffentlich von vielen Fachleuten und anderen Interessierten diskutiert werden, auch mit einem Beitrag von der DGAP.

Gibt es tatsächlich, wie Jörg Lau schreibt, einen “einen Deutungskampf um die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik”?

Und da wird zurzeit eine dunkle Seite sichtbar: die Neigung, sich Despoten schönzureden (…) »Russlandknutscher« nennt ein kritischer Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes diese Leute mit Blick auf Gerhard Schröders Verbindungen zum Kreml. Aber die deutsche Liebe zu den Anti-Demokraten ist nicht auf Putin beschränkt.”

“Russlandknutscher” ist ein schöner Kampfbegriff.

Lau hält ein gutes Plädoyer dafür, dass wir uns Kritik auch wirtschaftlich leisten können:

Umgekehrt wird die Konsequenz westlicher Kritik übertrieben. Unser Marktzugang – das zeigen immer neue Exportrekorde – ist nicht in Gefahr. Deutsche Produkte sind so gut, dass auch heftig kritisierte Länder sie haben wollen. Angela Merkel pflegt zwar eine größere Distanz zu Putin, aber der »Geschäftsklimaindex« beim Handel mit Russland war, laut dem Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, nie besser als heute. Der Dalai Lama wurde im Kanzleramt empfangen, und Deutschland hat sich auch vehement für den verfolgten Künstler Ai Weiwei eingesetzt. Trotzdem werden jedes Jahr mehr Audi nach China verkauft.

Es gibt einen Zielkonflikt zwischen Werten und Interessen. Doch der Schluss liegt nahe, dass Deutschland ungestraft noch viel deutlicher in der Welt für seine Werte eintreten könnte.

Zum Schluss sei die Lektüre des gesamten Artikels von Guido Steinberg empfohlen, weil er nicht nur überzeugend die bisherige und aktuelle Politik kritisiert, sondern auch Politikempfehlungen unterbreitet, um die deutsche und europäische Demokratisierungsrhetorik glaubwürdiger zu machen und die langfristige Stabilität in der Region zu fördern:

Dabei haben die Revolutionen zuallererst gezeigt, dass die autoritär regierten Staaten mitnichten stabil sind und dass sich eine längerfristig angelegte Nahost-Politik folglich auf anhaltende Instabilität einschließlich den Zusammenbruch weiterer Regime einstellen sollte. Dies gilt auch und gerade für die wohlhabenden Öl- und Gasstaaten am Persischen Golf (…)

Seit 2003 hat die Bundesregierung ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien stetig ausgebaut. Ziel der Bundesrepublik war und ist vor allem die Förderung des Außenhandels, doch hatten einige der neueren Geschäfte eine klare sicherheitspolitische Dimension. Bisheriger Höhepunkt der von mittlerweile drei deutschen Regierungen betriebenen Zusammenarbeit war der geplante Verkauf von 270 Leopard-Kampfpanzern in das Wüstenkönigreich. Vor dem Hintergrund des Arabischen Frühlings war dieses Geschäft jedoch höchst problematisch. Dies betraf zunächst einmal die Ausstattung der bestellten Panzer. Es handelt sich um den Leopard 2A7­+, der für die Aufstandsbekämpfung in bewohntem Gebiet umgerüstet ist und sich damit vor allem für die Niederschlagung von Unruhen im Inland eignet.

Jörg Wolf ist Redakteur von deutschlands-agenda und atlantic-community.org, dem Open Think Tank der Atlantischen Initiative. Folge ihm auf Twitter. Er freut sich über Kommentare hier und auf den Facebook und Twitter Kanälen von Deutschlands Agenda.

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