Bundespräsident Gaucks Europa Rede: Kein Ruck für die EU

Joerg Wolf │ 22. Februar 2013



Bundespräsident Herzog hat 1997 eine viel beachtete Rede über den Reformstau in Deutschland gehalten, die als “Ruck”-Rede in die Geschichte einging und eine Tradition von jährlichen „Berliner Reden“ begründen sollte. 2010 fiel die Rede aus, weil Horst Köhler zurücktrat, und Christian Wulff hat es 2011 und 2012 auch nicht hinbekommen.

Bundespräsident Gauck hat dieses Format nun ganz eingestellt. Seine heutige Europa-Rede hätte zumindest an Roman Herzogs harte Worte und flammende Leidenschaft anknüpfen können, denn so wie 1997 „ein Ruck“ durch Deutschland gehen musste, so könnte die Europäische Union diesen heute auch vertragen. Dies hat Joachim Gauck versäumt. Seine Rede war eher das übliche Standardplädoyer für Europa:

Einst waren europäische Staaten Großmächte und Global Players. In der globalisierten Welt von heute mit den großen neuen Schwellenländern kann sich im besten Fall ein vereintes Europa als Global Player behaupten:

Politisch, um substantiell mitentscheiden und weltweit für unsere Werte Freiheit, Menschenwürde und Solidarität eintreten zu können.

Wirtschaftlich, um wettbewerbsfähig zu bleiben und so in Europa unsere materielle Sicherheit und damit innergesellschaftlichen Frieden zu sichern.

Bis jetzt ist Europa für diese Rolle zu wenig vorbereitet. Wir brauchen eine weitere innere Vereinheitlichung. Denn ohne gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik kann eine gemeinsame Währung nur schwer überleben. Wir brauchen auch eine weitere Vereinheitlichung unserer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, um gegen neue Bedrohungen gewappnet zu sein und einheitlich und effektiver auftreten zu können.

Gut, dass der Bundespräsident über europäische Identität sprach, denn das ist eine Grundvoraussetzung für Kooperation, Integration und Solidarität. Diese Erfahrung habe ich auch gemacht, als ich zum Studium in die USA ging:

Was uns als Europäer allerdings auszeichnet, was europäische Identität bedeutet, bleibt schwer zu umreißen. Junge Gäste in Bellevue haben mir vor kurzem bestätigt, was wohl vielen hier im Saal vertraut sein dürfte: „Wenn wir in der großen, weiten Welt sind, empfinden wir uns als Europäer. Wenn wir in Europa sind, empfinden wir uns als Deutsche. Und wenn wir in Deutschland sind, empfinden wir uns als Sachse oder Hamburger.“ Wir sehen, wie vielschichtig Identität ist. Europäische Identität löscht weder regionale noch nationale Identität, sondern existiert neben diesen.

Wie geht es weiter mit Europa? Sehr sinnvoll:

Die Leitfrage bei allen Veränderungen sollte daher sein: Wie kann ein demokratisches Europa aussehen, das dem Bürger Ängste nimmt, ihm Gestaltungsmöglichkeiten einräumt, kurz: mit dem er sich identifizieren kann? (…) Mehr Europa muss heißen: mehr Verlässlichkeit. Verlässlichkeit und Solidarität stehen und fallen miteinander.

Der Bundespräsident richtete seine Rede auch an die Briten, die über einen Austritt aus der EU debattieren, wobei mir jedoch nicht klar ist, was er mit „Neubürgern“ meint:

Liebe Engländer, Schotten, Waliser, Nordiren und britische Neubürger! Wir möchten euch weiter dabeihaben! Wir brauchen eure Erfahrungen als Land der ältesten parlamentarischen Demokratie, wir brauchen eure Traditionen, eure Nüchternheit und euren Mut! Ihr habt mit eurem Einsatz im Zweiten Weltkrieg geholfen, unser Europa zu retten - es ist auch euer Europa. Lasst uns weiter gemeinsam um den Weg zur europäischen Res Publica streiten, denn nur gemeinsam sind wir den künftigen Herausforderungen gewachsen. Mehr Europa soll nicht heißen: ohne euch!

Jörg Wolf ist Redakteur von deutschlands-agenda und atlantic-community.org, dem Open Think Tank der Atlantischen Initiative.

1 Kommentare

  1. Joerg Wolf Says:

    Vielleicht meint Gauck mit den “britischen Neubürgern” die Briten “mit Migrationshintergrund”, weil sie sich nicht als Engländer, Schotten, Nordiren oder Waliser fühlen.

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