Diplomatischer und militärstrategischer Schulterschluss

Kai Schoenfeld │ 19. November 2012



Die Chancen einer Wiederbelebung und Weiterentwicklung des transatlantischen Bündnisses liegen in der gemeinsamen Lösung von akuten Konflikten, insbesondere in Syrien, Israel/Palästina und Iran.

Zur transatlantischen Partnerschaft gibt es für uns Europäer ebenso wie für die nordamerikanischen Staaten heutzutage aus außenpolitischer, wirtschaftlicher, strategischer, militärischer und kultureller Sichtweise keinen adäquaten Ersatz. Die Suche nach einem eventuellen Ersatzsystem oder Parallelprojekt sollte diesseits und jenseits des atlantischen Ozeans nicht in die strategischen Planungen einbezogen werden. Europa und insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika blicken auf eine gemeinsame Geschichte, sind multi- und bilateral in mannigfacher Weise verknüpft und stehen in einer besonderen kulturellen Nähe zueinander, was westliche Werte wie Freiheit, Rechtstaatlichkeit und Demokratie betrifft.

Gleichwohl stellt die transatlantische Partnerschaft keinen statischen Zustand in der sich rasch fortentwickelnden Weltpolitik dar. Der Aufstieg von Mächten in Fernost und die daraus resultierende Verschiebung des Zentrums der Weltstrategie in Richtung Pazifik bringt grundlegende Veränderungen mit sich und birgt Chancen und Gefahren für den status quo der transatlantischen Beziehungen. Die europäischen und US-amerikanischen Schuldenkrisen wirken sich ferner ebenso auf sie aus, wie der europäische Integrationsprozess per se, die vielfältigen Konfliktherde um Europa herum, die Kurssuche des NATO-Bündnisses und die institutionelle Funktionsfähigkeit der Vereinten Nationen. Die Chancen einer Wiederbelebung und Weiterentwicklung des transatlantischen Bündnisses liegen in der nun kommenden zweiten Amtszeit Barack Obamas neben anderen Bereichen vordergründig in der gemeinsamen Lösung von akuten Konflikten. Ein diplomatischer und militärstrategischer Schulterschluss ist gefordert; Deutschland kann dabei eine Schlüsselrolle übernehmen.

Exemplarisch lassen sich an drei akuten Problemstellungen die Chancen einer engeren Zusammenarbeit veranschaulichen. Alle drei Szenarien haben gemein, dass die USA eine stärkere Beteiligung der Europäer einfordern, was diplomatischen, finanziellen und militärischen Aufwand betrifft:

  1. Der Bürgerkrieg in Syrien lässt sich nicht ohne die Beseitigung des Assad-Regimes beenden. Nichtsdestotrotz ist an ein aktives militärisches Eingreifen des Westens in Syrien nicht zu denken, sodass die Bewaffnung der Rebellen als Lösungsstrategie im Raume steht. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sich aufgrund der Blockadehaltung Russlands und Chinas als handlungsunfähig erwiesen. Über den NATO-Mitgliedstaat Türkei sowie über die geographische Nähe Syriens als Anrainerstaat des Mittelmeeres und über die Sicherheit Israels sind die transatlantischen Partner dennoch direkt in den Syrienkonflikt einbezogen. Die NATO muss ein klares Profil gegen Assads Menschenrechtsverletzungen und gegen die Blockadehaltung der Chinesen und Russen beweisen. Dies muss einträchtig in einem gemäßigten, realistischen Rahmen des zurzeit politisch, strategisch und militärisch Möglichen geschehen. Die europäischen und nordamerikanischen NATO-Partner könnten Entschlossenheit in der Errichtung einer Flugverbotszone von türkischem Staatsgebiet aus beweisen sowie durch diplomatischen Druck, weitere gemeinsame Sanktionen im Rahmen der EU und VN Assads Position weiter schwächen. Nicht zuletzt könnte die transatlantische Diplomatie in Russland und China für ein Umdenken werben.
  2. Die Lösung des Nahostkonflikts um Israel und den Gaza-Streifen stagniert nicht nur, die Gewaltspirale hat sich in der letzten Zeit leider von Neuem rasant verschärft. Es ist die gemeinsame Aufgabe der Europäer und Amerikaner, den Nahostfriedensprozess wieder in Gang zu bringen und eine für die Zukunft tragfähige Zwei-Staaten-Lösung zu erarbeiten. Deutschland kann aufgrund seiner traditionell guten diplomatischen Beziehungen hier eine Schlüsselposition einnehmen und insbesondere mit der US-amerikanischen Diplomatie eng zusammenarbeiten. Die Erarbeitung von Konzepten, die Begleitung der palästinensischen und israelischen Partei, das Wirken gegen Radikalismus, Terrorismus und Waffenschmuggel, der Einbezug Ägyptens und anderer regionaler Mächte und die Vorbereitung von Zusammenkünften und Friedenskonferenzen wären unter der gemeinsamen Ägide der Europäer und Amerikaner zielführend. Selbst bis hin zu einer Friedenstruppe im institutionellen Rahmen der Vereinten Nationen sollte die Diskussion offen bleiben.
  3. Das Atomprogramm des Iran, die Hegemoniebestrebungen im Persischen Golf, vor allem in der Straße von Hormuz und die fortwährende Bedrohung der Existenz Israels durch die iranische Propaganda betreffen Europäer und Amerikaner in einem besonders frappierenden Maße. Die amerikanische Militärführung hat mit der Aufstockung vor allem der maritimen Kräfte in der Region reagiert. Hier bietet sich die Chance für die Europäer, die amerikanische Militärmacht in geeignetem Maße zu unterstützen. Europa muss ein fester Bestandteil der Strategie gegen Ahmadineschads bellizistische Gefahr sein. Im vergangenen September wurde mit IMCMEX 12 das bis dato größte Seemanöver dieser Art im Persischen Golf vollzogen, an dem mehr als 30 Nationen teilgenommen haben. In diese Richtung einer breiten Basis transatlantischer Streitkräfte mit der Fähigkeit, auf eine Eskalation des Irankonfliktes adäquat zu reagieren, muss sich die transatlantische Strategie bewegen. Deutschland könnte in diesem Rahmen Marineeinheiten abstellen, in multinationale Verbände eingliedern und herausragende Fähigkeiten wie etwa bei der Minenräumung oder der Verwundetenversorgung auf See einbringen.

Kurzum: Europa und Nordamerika müssen wieder verlässliche Partner füreinander sein, sich gegenseitig vertrauen, persönliche Kontakte im Bereich der Diplomatie und des Militärs pflegen und gemeinsam an Lösungsansätzen für die Probleme und Konflikte der heutigen Sicherheitslage arbeiten. Das gemeinsame Wertefundament und die Vertiefung der wirtschaftlichen Verbindungen bieten dazu die Grundlage. Der politische Wille, vor allem von Seiten der Europäer, wieder stärker in die Pflicht genommen zu werden, muss insgesamt deutlicher formuliert werden.

Kai Schönfeld ist Offizier der Deutschen Marine und bloggt auf Sicherheit vernetzt . Er lebt in Hamburg und studiert dort Geschichtswissenschaft und Soziologie.

2 Kommentare

  1. Niklas Anzinger Says:

    Kai, ich stimme deinen Vorschlägen weitestgehend zu, will aber noch folgende Anmerkungen anschicken:

    zu 2.: Ich denke das wäre der falsche Zeitpunkt für eine Neuaufnahme der Friedensgespräche unter Fremdbeteiligung. Mahmud Abbas hat kein Mandat und wenig Raum zum Manövrieren. Der Konflikt mit dem Iran, der Hamas im Gazastreifen und der libanesischen Hisbollah sind im Moment aus Sicht Israels dringender. Ich denke bevor die PA-Vertretung sich nicht aus eigener Motivation entscheidet an den Verhandlungstisch zurückzukehren, den Netanjahu immer wieder angeboten hat, werden Mittlerverhandlungen zu nichts führen. Inhaltlich stimme ich zu, aber falscher Zeitpunkt.

    zu 3.: Auch hier Zustimmung. Wichtig wäre aber aus meiner Sicht auch ein konsequenteres Vorgehen im Hinblick auf die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran. Gerade Deutschland trägt zwar die Sanktionen mit, arbeitet aber nicht genug an deren Umsetzung. Nach wie vor ist Deutschland der wichtigste westliche Handelspartner des iranischen Regimes. Da aus Deutschland nicht mal der Wille dazu vorhanden ist, denke ich, dass der Wille Marineeinheiten zu dem Zweck abzustellen noch viel weniger vorhanden sein wird. Demnach auch Zustimmung, wünschenswert ist das auch, aber leider unrealistisch.

  2. N. Stedtler Says:

    zu 3.:

    Es ist ein immer wiederkehrender Fehler westlicher Medien und vermeintlicher Politikexperten, die Äußerungen und Gesten des iranischen Regimes zu überbewerten und dabei außer Acht zu lassen, dass gerade innenpolitische Dynamiken die Triebfeder solchen Handelns sind. Besonders vor dem Hintergrund der Präsidentschaftswahlen im Iran 2013 wird auch in naher Zukunft mit einer weiteren Zuspitzung im Bereich der außenwirksamen Entwicklungen zu rechnen sein. Dies sollte jedoch gerade nicht dazu führen, dass westliche Nationen ihre Präsenz im Persischen Golf erhöhen, da eine solche Reaktion die religiös-konservativen Kräfte im Iran nur noch weiter unterstützen würde und damit letztlich dem herrschenden Regime in die Hände spielt.
    Wie mein Vorredner sehe auch ich den Schwerpunkt transatlantischer Bemühungen zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten eher im Bereich der diplomatischen Zusammenarbeit - auch und gerade hinsichtlich der genannten Durchsetzung von Wirtschaftssanktionen.






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