Alles Euro oder was? Europäische Politik im Windschatten der Krise

Dr. Philipp Rock │ 12. Oktober 2012



„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, raunt man sich vielerorts in Europa zu. Heißt das also, dass sich die ganze politische Maschine der EU dieser Tage allein auf den Euro fixiert? Nicht wirklich. Von Brüssel aus gesehen erstaunt die ganze Aufregung ein wenig, hier geht der politische Betrieb seinen normalen Gang. Und der ist aufregend genug.

Wenn es in den deutschen Medien dieser Tage um das Stichwort „Brüssel“ geht, dann steht es mit ziemlicher Sicherheit in Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise und den Überlegungen über die Zukunft des Euro. Dabei kann man leicht vergessen, dass in der Hauptstadt der EU in diesen Tagen noch über ganz andere Themen entschieden wird.

In der Tat ist die Rettung der gemeinsamen Währung in Brüssel an den meisten Tagen gar nicht das dominierende Thema, allein schon, weil die wichtigen Entscheidungen hierzu in Berlin, Athen, Paris, Madrid und Rom (manchmal auch in Karlsruhe) fallen und eben nicht am Sitz von Kommission, Rat und Parlament. Über die Fixierung auf die Euro Krise gerät leicht in Vergessenheit, dass die Institutionen der EU weiterhin normal ihrer Arbeit nachgehen und tagtäglich Entscheidungen für 500 Millionen Europäer treffen.

Wie viel Lärm und Dreck darf es sein? – Brüssel entscheidet über die Zukunft der Automobilbranche

Dabei sind die Dossiers über die zurzeit in Brüssel entschieden wird sicherlich auch für die weitere wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand in Europa entscheidend. Deutlich wird das an zwei von der Kommission vorgeschlagenen Rechtsakten zur Begrenzung der Lärm- wie der CO2-Emmissionen von Neuwagen. Diese werden entscheidend die Zukunft einer der wichtigsten Industriezweige Europas für das kommende Jahrzehnt prägen. Die Kommission schlägt dabei vor, den durchschnittlichen CO2 Ausstoß neu zugelassener PKW eines Herstellers ab 2020 auf 95 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer zu begrenzen. Gegenüber dem heute gültigen Wert von 130g CO2/km wäre das nochmal eine entscheidende Verschärfung, gegen die vor allem die deutschen Hersteller schwerer PKW rebellieren, da sie sich bei der Formel für die Berechnung der Grenzwerte gegenüber französischen und italienischen Kleinwagenherstellern benachteiligt fühlen. Angesichts angedrohter Strafzahlungen von 95€ pro zusätzlichem Gramm CO2 wird die Aufregung verständlich, die sich auch im europäischen Verband der Automobilhersteller ACEA entlädt.

Bereits als es darum ging, dass der Verband eine gemeinsame Position gegenüber der Europäischen Kommission und ihren Vorschlägen für neue CO2 Grenzwerte entwickeln sollte, wurden die Gegensätze zwischen den deutschen Herstellern und ihrer europäischen Konkurrenz deutlich. Dem Vernehmen nach standen namhafte deutsche Hersteller in dieser Situation kurz vor dem Austritt aus dem ACEA. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr sich in einer Branche, die sich normalerweise als gut organisierte und schlagkräftige Lobby präsentiert, auch heftige nationale Gegensätze aufbrechen können. Es versteht sich dabei von selbst, dass sich im Rat und im Parlament Regierungen und Abgeordnete für die Interessen ihrer jeweiligen Produzenten einsetzen. Dabei haben Frankreich und Italien den Vorteil, dass sie auch auf die Unterstützung derjenigen EU Länder ohne eigene Autoindustrie zählen können, da diese aus Gründen des Klimaschutzes prinzipiell härtere Grenzwerte befürworten.

Lobbyisten sind immer die anderen – An Einflüsterern mangelt es in Brüssel nicht

Ähnlich verlaufen die Konfliktlinien auch bei der Richtlinie über die Begrenzung des Lärms, den Autos auf europäischen Straßen verursachen dürfen und über die gegenwärtig im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments beraten wird. Auch hier stehen sich Hersteller von schwereren, und mithin lauteren, Gefährten solchen Konzernen gegenüber, die vornehmlich klein und leise bauen. Besondere Brisanz erhielt das Dossier in den letzten Wochen dadurch, dass dem zuständigen Berichterstatter vorgeworfen wurde, seinen Kompromissvorschlag zu den Lärmgrenzwerten direkt von Porsche abgeschrieben zu haben. Der tschechische Abgeordnete Miroslav Ouzký, der der konservativen ECR Fraktion angehört, hatte eine Excel Tabelle vorgelegt, aus deren Metadaten ein Ingenieur in Diensten des schwäbischen Sportwagenherstellers als Autor hervorging. Ouzký verteidigte sich zwar, er habe die Tabelle des Porscheingenieurs nur als Vorlage genutzt aber eigenen Werte eingetragen, der Skandal war aber in der Welt. Bei der Aufregung um Ouzký und seine angeblichen Verbindungen zu Porsche ging größtenteils unter, dass seine sozialistische Kollegin Judith Merkies ebenfalls eine Grenzwerttabelle vorlegte, bei der der schwäbische Ingenieur als Autor verzeichnet war. Die Abgeordnete aus den Niederlanden hatte aber in die Tabelle die Werte der Lobbyorganisation Transport&Environment übernommen.

Hier zeigt sich sehr deutlich der Einfluss von Lobbygruppen aus der Industrie aber auch von Seiten sogenannter NGOs. Im Europäischen Parlament ist dieser Einfluss vielleicht sogar noch größer als in den nationalen Parlamenten, da die Brüsseler Abgeordneten oftmals über sehr technische Dossiers zu bestimmen haben, deren Auswirkungen sich ohne speziellen Sachverstand nur schwer erschließen. Dabei geht es nicht nur um komplexe Regelungen für die Automobil- und Chemiebranche (letztere kämpft momentan gegen die Einführung von Grenzwerten für Arzneimittelrückstände in europäischen Gewässern), sondern auch um sehr spezifische Rechtsmaterien, wie sie momentan bei der Reform des europäischen Vergaberechts behandelt werden. Hier versuchen gerade auch die deutschen Bundesländer Einfluss zu nehmen und das Fehlen formaler Einflussmöglichkeiten, die sie bei der Gesetzgebung im Bund haben, durch die Beratung von Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu kompensieren.

Auch die Spitzenverbände der Gemeinden, wie der Deutsche Städte- und Gemeindetag und der Landkreistag, treten in Brüssel immer aktiver auf, wie sich am Beispiel dieses Dossiers zeigt. Daneben ist das Vergaberecht auch einer der Rechtsakte bei dem sich im Europäischen Parlament die Mehrheiten weniger entlang der politischen Gruppierungen, sondern nach den Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben. So setzen sich die französischen Abgeordneten für Regelungen ein, die es den international aufgestellten Versorgern GDF und Suez erleichtern würden, an öffentlich Aufträge für die Wasser- und Stromversorgung auf anderen europäischen Märkten zu gelangen, während die deutschen Volksvertreter parteiübergreifend dafür kämpfen, das Geschäftsmodell der deutschen Stadtwerke europarechtlich abzusichern.

Über allem steht die Bereitschaft zum Kompromiss

Vereinzelt ist dieser Tage die Einschätzung zu hören, dass gerade in Zeiten der Eurokrise eine Vertiefung der Europäischen Union nötig sei, um ein Auseinanderbrechen Europas zu verhindern. Von Brüssel ausgesehen geht dieser Befund an der Realität vorbei. Die EU steht nicht kurz vor dem Auseinanderbrechen. Trotz der Staatsschuldenkrise ist sie eine lebendige und produktive politische Entscheidungsmaschine, die angesichts der Vielzahl widerstrebender Interessen, die in Brüssel aufeinandertreffen erstaunlich effektiv funktioniert.

Die Tatsache, dass hier nationale und ideologische Interessengegensätze aufeinanderprallen und jeder hart für seine Interessen kämpft, ist kein Zeichen einer krisenhaften Entwicklung. Vielmehr ist es ein Zeichen der Vitalität und der Qualität der Europäischen Institutionen als Konsensmaschinen, dass am Ende der Streitereien doch immer noch ein tragbarer Kompromiss gefunden wird. Am Ende ist es dann nämlich doch der bemerkenswerte Wille zum Kompromiss über Länder- und Parteigrenzen hinweg, der das politische System Brüssels so einzigartig macht. Von dieser Leistung könnten sicherlich die nationaler Politiker mancher EU Staaten noch etwas lernen.

Dr. Philipp Rock arbeitet als Referent im Europäischen Parlament in Brüssel.

Quelle Autorenbild: Philipp Rock / Quelle Artikelbild: Europäische Kommission

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