Der Parlamentsvorbehalt ist auch eine Chance

Joerg Wolf │ 02. Juli 2012



Steht der Bundestag, der über jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr entscheiden muss, einer stärkeren militärischen Integration der NATO und der EU im Wege? Möglicherweise. Dennoch sollte der Parlamentsvorbehalt nicht eingeschränkt, sondern genutzt werden, das eigentliche Problem der deutschen Außenpolitik zu überwinden: Nur vage Strategien und fehlende Debatten über sicherheitspolitische Herausforderungen, Ziele, Prioritäten, konkrete Maßnahmen, unsere Verantwortung und unsere Beiträge für die NATO und die EU Außenpolitik.

„Smart Defence“ und „Pooling und Sharing“ sind die Antworten der NATO bzw. der EU auf die Schuldenkrise. Durch multinationale Kooperationen sollen militärische Fähigkeiten kostengünstiger entwickelt und gebündelt sowie Spezialisierungen und entsprechende Lastenteilungen ermöglicht werden. Die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit von NATO und EU könnte im Idealfall trotz konstanter oder sinkender Verteidigungsbudgets gestärkt werden, allerdings müssten die Mitgliedsstaaten auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten. Verteidigungsminister De Maizière und die CDU-Abgeordneten Beck, Schockenhoff und Kiesewetter fordern daher eine Reform des Parlamentsvorbehalts, der Auslandseinsätze der Bundeswehr an eine Zustimmung des Bundestages bindet.

Schockenhoff und Kiesewetter schlagen einen jährlichen „Parlamentsbeschluss für die Bereitstellung deutscher Soldaten und Fähigkeiten in integrierten Streitkräften (vor), deren Einsatz dann einem einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates (oder des NATO-Rates) unterläge. So obläge der Exekutive das ‚Einsatzrecht‘ und dem Bundestag als der Legislative das ‚Rückholrecht‘.“ Das wäre auch ein „deutliches Zeichen der Vertrauensbildung gegenüber unseren Partnern“, denn die deutsche Sicherheitspolitik habe ein Glaubwürdigkeitsproblem: „Spätestens seit der deutschen Enthaltung bei der UN-Resolution zum militärischen Eingreifen in Libyen hegen einige unsere Partner in NATO und GSVP Zweifel, ob sie in ‚Hard-Power-Konflikten‘ auf Deutschland zählen können.“

Außenminister Westerwelle und der SPD Abgeordnete Erler lehnen Einschränkungen des Parlamentsvorbehalts jedoch ab, da die Bundeswehr eine Parlamentsarmee sei bzw. „der Einsatz deutscher Soldaten im Ausland demokratisch und parlamentarisch legitimiert sein muss.“ Zudem haben die Parlamente Italiens, Ungarns, der baltischen Staaten sowie mit Abstrichen der Niederlande dem Bundestag vergleichbar starke Mitspracherechte laut Untersuchung der Politikwissenschaftler Dieterich, Hummel, und Marschall ( Parliamentary War Powers : A Survey of 25 European Parliaments ).

Die starken Rechte des Bundestages sind m.E. mehr eine Chance als ein Problem, denn mit dem Parlamentsvorbehalt sind die Abgeordneten auch in der Pflicht, sowohl die aktuellen und zeitkritischen als auch die grundlegenden und langfristigen außenpolitischen Fragestellungen tiefgründig zu debattieren. Schockenhoff und Kiesewetter fordern in ihrem Konzeptpapier ja auch: „Deutschland muss sich intensiver, breiter und strategischer mit Sicherheitspolitik befassen, wenn es seinem weltpolitischen Gewicht und seinen Interessen gerecht werden und verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will.“ Sie empfehlen regelmäßige Sicherheitsdebatten im Bundestag, die in „Sicherheitspolitischen Richtlinien“ und ggf. auch einer „ressortübergreifenden föderalen Sicherheitsstrategie“ münden sollen.

Daher sollte der Parlamentsvorbehalt nicht eingeschränkt, sondern der Bundestag in die Verantwortung genommen und ggf. einige Abgeordneten daran erinnert werden, dass sich aus Rechten auch Pflichten ergeben. Der Bundestag hat ja bisher verantwortlich und alles andere als populistisch gehandelt und z.B. das Afghanistan Mandat jedes Jahr verlängert bzw. sogar ausgeweitet, obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung diesen Auslandseinsatz seit Jahren ablehnt. (Allerdings wäre es auch wünschenswert, wenn der Bundestag die Strategie und Implementation des militärischen und zivilen Einsatzes in Afghanistan genauso intensiv prüfen und debattieren würden wie mit dem Kunduz-Luftangriff und der Inhaftierung von Murat Kurnaz geschehen.) Außerdem hat die Enthaltung zu Libyen nicht der Bundestag, sondern die Bundesregierung zu verantworten.

Zugegeben, der Parlamentsvorbehalt könnte in Zukunft angesichts der verstärkten militärischen Integration auf EU und NATO Ebene ein Problem werden und zeitkritische Entscheidungen über Auslandseinsätze verzögern oder gar verhindern. Auch könnten schon jetzt unsere Verbündeten die Bündnistreue der Bundesrepublik in Frage stellen und Vorbehalte gegenüber gemeinsamen Projekten im Rahmen von Pooling und Sharing bzw. Smart Defense Initiativen hegen. Allerdings lassen sich diese Sorgen auch nicht vollständig ausräumen, wenn der Bundestag das Rückholrecht behielte.

Stattdessen kann Deutschland verlorene Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit zurückgewinnen, wenn Bundestag, Denkfabriken, Medien und Bürgergesellschaft mehr tiefgründige, aber auch breitgeführte Debatten über langfristige sicherheitspolitische Herausforderungen und die Prioritäten und Ziele der deutschen Außenpolitik führen würden. Dabei sollte nicht nur abstrakt über noble Interessen und hehre Werte, sondern auch über die konkreten Mittel und Maßnahmen diskutiert werden, mit denen u.a. die EU, die NATO und die Vereinten Nationen unterstützt werden sollen. Unsere Verbündeten müssen besser verstehen, was wir wollen und wozu wir bereit sind.

Das Fehlen einer solchen strategischen Debattenkultur ist das eigentliche Problem. Der Parlamentsvorbehalt hingegen kann dafür die Lösung sein, wenn er proaktiv interpretiert wird.

Jörg Wolf ist Chefredakteur von Deutschlands Agenda.

1 Kommentare

  1. Sebastian Says:

    Besonders interessant fand ich den Aufsatz zu den Parliamentary War Powers. Insbesondere folgendes Ergebnis sollte zu denken geben: „An analysis of the involvement of 25 European states in the Iraq War 2003 revealed a significant correlation between parliamentary war powers and war involvement: countries where parliaments had strong war powers tended to be less involved in the conflict than other countries, and those countries which contributed ground forces to the Iraq War had parliaments with weak war powers. The results of this recent research provide evidence for the pacifying effect of parliamentary war powers. If there is a lack of parliamentary war power, government can easily overcome the public opposition as well as normative and legal objections. If parliaments are strong, they can keep the government from acting against the rule of law and the majority will of the people.“






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