Eine neue Verfassung für Europa in Deutschland

Theresia von Horneck │ 20. April 2012



Die deutsche Politik wird nicht müde mehr zu fordern. Konkrete inhaltliche Konzepte folgen aber selten. Nun hat Außenminister Westerwelle wieder eine EU-Verfassung ins Gespräch gebracht. Zunächst einmal muss Deutschland aber mit einer integrationsfreundlichen Grundgesetzänderung oder einer neuen deutschen Verfassung die Grundlage für tiefgreifende Integrationsprozesse schaffen. Die vorangehende öffentliche Debatte darüber dürfte dann auch zeigen, wo und wie Deutschland die Zukunft der EU sieht.

Das Auswärtige Amt erklärt nur Europa, aber nicht die EU

Guido Westerwelle sowie die Webseite des Auswärtigen Amtes (AA) werden nicht müde, sich zu Europa zu bekennen. Überall findet man die Schlagworte „mehr Europa“ und „weitere Integration“. Kürzlich wurde auch das AA-Konzept zur Europa-Kommunikation veröffentlicht. Darin wird erklärt, wie Europa am Besten den Deutschen und dem nicht-europäischen Ausland näher gebracht sowie europäische Nachbarn von den europäischen Absichten Deutschlands überzeugt werden können.

Interessanterweise bleibt aber der Begriff Europäische Union in dem Kommunikationskonzept des AA ungenannt. Man spricht von Europa, europäischen Nachbarn, dem europäischen Projekt, deutscher Europapolitik, der Eurokrise. Gemeinsame europäische Werte und die Bedeutung der geographischen Nähe werden betont. Das AA scheint den Kontinent Europa erklären zu wollen, nicht die Staatengemeinschaft EU.

Politphrasen forcieren Euroverdrossenheit

Ruprecht Polenz, CDU-Bundestagsabgeordneter, forderte auf Deutschlands Agenda ebenfalls ein Mehr an Europa. Er konzentriert sich auf das Argument der Wertegemeinschaft, führt aber auch die wirtschaftlichen Profite der gemeinsamen Währung an. Was genau mehr Integration bedeutet, klärt aber auch er nicht. Sein Kollege Philipp Mißfelder beschreibt konkreter wie er sich die EU zukünftig vorstellt: Verteidigung gemeinsamer Werte, insbesondere Menschenrechte, ein festes Stabilitätskorsett und zuletzt stellt er fest, dass „die wichtigste bilaterale Beziehung eines Global Players nicht die zum nächsten Nachbarn, sondern die zur Welt als Ganzes ist“.

Mißfelder votiert aber auch für ein „Europa der Vaterländer“. Er warnt vor einem europäischen Superstaat, ausufernder Bürokratie und sinkender demokratischer Legitimation. Dies mögen legitime Kritikpunkte sein, sind aber auch Schreckgespenster. Solche Begriffe forcieren Euroverdrossenheit, erschweren eine unvoreingenommene Diskussion über Integration und sind populistische Pauschalisierungen. Sie setzen Integration mit diesen Schlagworten gleich und vergessen, dass Integration ein Gestaltungsprozess ist, bei dem solche Ängste adressiert werden können.

Befürwortung einer EU-Verfassung verfrüht

Mit dem „Gestaltungsmächtekonzept“ zeigt die Regierung der Welt und den deutschen Bürgern, dass Deutschland sich momentan gut als Global Player gefällt. Aber wo und was ist das EU-Konzept der Regierung?

Vielleicht ist es die Befürwortung Westerwelles für eine neue EU-Verfassung. Drei inhaltliche Ideen wurden genannt: die Verfassung soll durch nationale Bürgerentscheide ratifiziert werden, ein parlamentarisches Zweikammersystem aus Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat soll entstehen und ein EU-Präsident direkt gewählt werden. Der Außenminister organisierte bereits ein Treffen einer EU-Zukunftsgruppe aus interessierten Mitgliedstaaten. Die Gespräche sind allerdings unverbindlich und nur wenige Staaten zeigten Interesse. Der Hauptkritikpunkt lautet, daß die EU gerade erst dabei sei ihre schwerste Krise zu lösen und Verhandlungen über eine Verfassung verfrüht seien.

Ideen ohne Inhalt: EU-Präsident und Länderkammer

Die Idee eines direkt gewählten EU-Präsidenten ist nicht neu und Herr Westerwelle bleibt vage in der Beschreibung dieses Postens. Die EU hat bereits einen Präsidenten des Europäischen Rats und einen Kommissionspräsidenten. Beide Posten würden eine institutionelle Neudefinierung benötigen, da diese anvisierte direktdemokratische Legitimierung nach wesentlich mehr Kompetenzen verlangen würde. Bisher lag es auch nicht im Interesse des Europäischen Rats die neugeschaffenen Positionen des Lissabon Vertrags mit starken Persönlichkeiten zu besetzen. Daher ist es zweifelhaft, ob Deutschland eine solche Position im Europäischen Rat durchsetzen könnte. Europäische Parteien überlegen momentan einen einfacheren Weg der Position des Kommissionspräsidenten mehr Legitimation zu verleihen. Die Sozialdemokratische Partei Europa verabschiedete bereits eine Resolution. (Ausführliche Diskussion des Vorschlags auf Der (Europäische) Foederalist).

Weiter spricht sich der deutsche Außenminister für eine Art Zweikammersystem aus Europäischen Parlament und Europäischen Rat, einer Art Länderkammer, aus. Die Bezeichnung Europäischer Rat ist verwirrend, da dieser als Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs seit Lissabon fest institutionalisiert ist. Daneben gibt es den Ministerrat der EU, der dem deutschen Bundesrat ähnelt. Neu hingegen wäre eine Länderkammer nach dem Vorbild des US-Senats, dessen Mitglieder aus nationalen Wahlen hervorgehen würden. Eine solche Institution könnte das häufig bemängelte Demokratiedefizit der EU verringern und eine größere Nähe zwischen den Bürgern und der EU herstellen.

Abstimmung in Deutschland? Ja, bitte!

Nach den letzten Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zur European Financial and Stability Facility und Kommentaren von Präsident Voßkuhle zufolge kann Deutschland allerdings kaum noch mehr Souveränitätsrechte abgeben. Sollte es zu einer EU-Verfassung kommen, dann würde das deutsche Volk über ein EU-freundlicheres Grundgesetz per Referendum entscheiden müssen.

Und dies wäre dann auch die Antwort auf die Frage nach der langfristigen deutschen EU-Politik. Ein Kommunikationskonzept ist ein erster Schritt, aber es muß konkreter werden. Wir brauchen in Deutschland dringend eine fundierte Debatte über die EU und unsere Zukunft darin. Es geht dabei nicht um kurzfristige Lösungen akuter Probleme in der EU, sondern um das langfristige Integrationsprojekt EU und wie dieses in beispielsweise zwanzig Jahren aussehen soll. Erst wenn Verfassungsänderungen oder eine neue Verfassung zur Abstimmung stehen, wird eine Ausgangsbasis für detaillierte Gespräche über mehr Integration geschaffen. Die Drohung des europäischen Superstaats ist haltlos, da Deutschlands dies momentan gar nicht mittragen könnte. Die Ideen für mehr Integration bleiben aus demselben Grund rückhaltlos. Um Ideen vorzutragen muß man sich erst einmal in die Ausgangslage bringen, diese auch verwirklichen zu können. Insofern macht es auch wenig Sinn über eine EU-Verfassung oder andere größere Integrationsprojekte zu reden. Deutschland ist kaum in der Lage diesen zuzustimmen. Zunächst muß eine Grundlage für ernsthafte Integrationsgespräche mit anderen Staaten geschaffen werden. Die Diskussion über eine EU-freundliche Verfassungsänderung oder eine neue Verfassung hat die einzigartige Möglichkeit, Politik und Bürger Deutschlands zu zwingen, sich konkret mit der EU aufeinanderzusetzen und die langfristigen Leitlinien deutscher EU-Politik zu determinieren.

Eine EU-freundliche Änderung des Grundgesetzes oder aber eine komplett neue Verfassung, dies wäre ein Zeichen an die Welt und die EU-Mitgliedstaaten. Es wäre ein offenes Bekenntnis zu Europa und eine Stimulation des europäischen Einigungsprozesses. Es wäre sogar ein deutscher Einigungsprozess, steht eine Verfassung doch eigentlich schon seit der Wiedervereinigung aus.

Theresia von Horneck hat einen Master of Arts in European Union Studies und absolvierte ein Praktikum bei der Atlantischen Initiative e.V.

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