Unsere Verantwortung in Syrien

Kerstin Mueller │ 15. März 2012



Seit nunmehr einem Jahr führt das Assad-Regime in Syrien Krieg gegen sein Volk. Es beschießt wahllos Wohngebiete, selbst Helfer des Roten Halbmonds, macht Krankenhäuser zu Folterkammern, auch für Kinder und Frauen, und kappt sämtliche überlebenswichtigen Versorgungswege. Längst verdrängte Bilder des Balkankrieges kehren zurück - mit Scharfschützen auf Dächern, Leichen in den Straßen und Menschen in Todesangst, denen jeder Fluchtweg versperrt ist. War das Versprechen „Nie wieder Srebrenica“ für uns also nichts weiter als eine hohle Phrase?

Die Weltgemeinschaft hat 2005 eine internationale „Schutzverantwortung“, die „Responsibility to Protect“ beschlossen, um solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit nie wieder geschehen zu lassen. Wenn ein Staat seine Bürger nicht schützen will oder kann, muss die Staatengemeinschaft diese Aufgabe übernehmen. Was aber geschieht im Fall Syriens? Trotz offenkundiger Verbrechen gegen die Menschlichkeit zögert die Weltgemeinschaft. Denn anders als in Libyen ist zu recht die Angst vor einem regionalen Flächenbrand sehr groß.

Selten war sich die internationale Gemeinschaft daher so uneinig. Mit der Folge, dass auch der UN-Sicherheitsrat wieder einmal blockiert ist. Russland und China verfechten ihre Neo-Kalte-Kriegs-Politik zum Schaden der Syrer und weigern sich, die Gewalt des Assad-Regimes zu verurteilen, geschweige denn Sanktionen zu verhängen. Das ist ein verheerendes Signal, weil es Baschar al-Assads darin bestärkt, die Menschen zu töten.

Die EU, die USA und andere Staaten haben zwar einen Ölboykott und Einreiseverbote verhängt, doch solche Sanktionen wirken allenfalls mittelfristig, während das Morden weitergeht. Die Forderungen nach Waffenlieferungen an die freie syrische Armee wurden zurecht abgelehnt. Schon jetzt radikalisiert sich die Bewegung immer mehr, und El-Kaida hat zum Kampf gegen Assad aufgerufen.

Es bleibt also die Frage, was zu tun ist, um den bedrohten Menschen in Homs und anderen belagerten Städten jetzt zu helfen? Zunächst einmal muss die Blockade im UN-Sicherheitsrat überwunden werden, damit er das eindeutige Signal an das Regime in Damaskus senden kann: Die internationale Gemeinschaft entscheidet zwar nicht, wer in Syrien regiert, duldet aber ebenso wenig, dass eine Regierung seine Bevölkerung massakriert. Die Schutzverantwortung gebietet, alles zu tun, um die Bevölkerung zu schützen. Dabei müssen erst alle zivilen Mittel ausgeschöpft werden. Die Berufung Kofi Annans zum Syrien-Sondergesandten ist in diesem Sinne ein starkes Signal an alle Beteiligten.

Bei seiner schwierigen Mission braucht Annan jetzt jede erdenkliche Unterstützung, um eine Waffenruhe zu vereinbaren. Denn erst dann kann der Rote Halbmond in die umkämpften Städte gehen, um die Eingeschlossenen medizinisch zu versorgen und Verletzte aus der Gefahrenzone zu bringen. Doch wohin sollen die Verletzten gebracht werden, wenn Krankenhäuser zu Folterkammern geworden sind? In eine entmilitarisierte Schutzzone, die entlang der Grenze zur Türkei und Jordanien errichtet werden muss. Hier leben jetzt schon Tausende Flüchtlinge.

Damit stellt sich allerdings die Frage, wie die Verletzten in die Schutzzonen gelangen sollen. Über kurz oder lang wird die Staatengemeinschaft daher auch nicht an der Einrichtung humanitärer Korridore vorbeikommen. Diese Korridore müssen militärisch geschützt werden, wie uns der Balkan-Krieg gelehrt hat. Diesen Schutz könnte die Türkei übernehmen, die sich dazu schon einmal bereiterklärt hat, allerdings nur mit der Unterstützung der UN und der Arabischen Liga.

Die Liga ist mit ihrem Friedensplan klar auf der Seite der Opposition und diskutiert im Augenblick weitere Optionen, so auch ein Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung. In Verbindung mit einem weiteren Beschluss der UN-Vollversammlung, etwa auf der Basis des neuen Berichtes des UN-Menschenrechtsrates über die Gräueltaten in Syrien, könnte dies eine völkerrechtliche Grundlage für die Einrichtung humanitärer Korridore sein. Erst wenn die Gewalt beendet ist und die Armee sich aus den Städten zurückgezogen hat, wäre schließlich eine internationale Blauhelmmission zum Schutz der humanitären Zonen sinnvoll.

Sicher, dieser Weg wäre völkerrechtliches Neuland. Aber das ist die internationale „Schutzverantwortung“ generell. Wenn wir sie ernst nehmen, müssen wir Wege finden, sie umzusetzen - auf der Basis der UN-Charta. Auch in diesem Szenario ist eine Ausweitung des Konfliktes nicht ausgeschlossen. Da Assad jedoch entschlossen scheint, bis zu seinem Ende mit aller Brutalität zu kämpfen, ist eine Eskalation in Syrien bislang schon nicht auszuschließen. In jedem Fall gilt: Wir dürfen nichts unversucht lassen, um die Zivilbevölkerung zu schützen.

Kerstin Müller ist außenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Von 2002 bis 2005 war sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt

Quelle Autorenbild: Deutscher Bundestag

Kommentarbereich geschlossen.






Außenpolitik für alle!

Die Atlantische Initiative will einen Beitrag zur Stärkung der außenpolitischen Kultur in Deutschland leisten. Mitgestaltung außenpolitischer Prozesse muss für alle möglich sein. Dafür ist es wichtig, alle Teilbereiche der Gesellschaft besser zu vernetzen. Besonders liegt uns die Förderung von Partizipationsmöglichkeiten für die junge Generation am Herzen. Um unser Motto mit Leben zu füllen, haben wir eine Reihe von Projekten entwickelt. Wir freuen uns auf Ihre Beteiligung.

Archiv