Patriot und NATO-Raketenabwehr: Die Türkei ist gefordert

Niklas Anzinger │ 28. November 2012



Die Bundesrepublik sollte die Türkei mit der Stationierung von Patriot-Systemen unterstützen, um Bündnissolidariät zu demonstrieren und Ankara daran zu erinnern, wie wichtig die NATO und der Westen für die eigene Sicherheit ist.

Worum geht es der Türkei bei der Anfrage nach der Stationierung eines Patriot-Systems an der Grenze zu Syrien? Laut offiziellen Verlautbarungen handelt es sich um eine „rein defensive Maßnahme“, so der türkische Ministerpräsident Erdogan und bekommt Zustimmung von der NATO. In Deutschland wird für eine Entsendung mit Bündnissolidarität argumentiert.

Gegen eine Entsendung wird vorgebracht, die Türkei wolle eine Flugverbotszone über Syrien errichten und daher sei militärische Unterstützung eine „Rutschbahn zu einem Syrien-Einsatz“, so Grünen-Abgeordneter Omid Nouripour. Russland, Syrien und der Iran teilen die Bedenken.

Ein Raketenabwehrsystem kann jedoch keinen Luftraum vor Kampfflugzeugen sichern. Es würde höchstens vor Vergeltungsschlägen aus dem syrischen Waffenarsenal mit Scud-Raketen schützen, nicht vor chemischen Waffen, die mit leichter Artillerie abgefeuert werden können oder Mörsergranaten, welche türkische Städte nahe der Grenze trafen. Die Errichtung einer türkischen Raketenabwehr — Patriot ist nur ein Teil davon — findet schon lange in Abstimmung mit der NATO statt.

Die Türkei kann sich zwischen vier Anbietern für ein Raketenabwehrsystem entscheiden: dem PAC-3 Patriot System von Raytheon-Lockheed Martin aus den USA oder den Anbietern Rosoboronexport aus Russland, CPMIEC aus China und dem französisch-italienischen Anbieter Eurosam. Die NATO-Mitgliedsländer USA, Deutschland und die Niederlande besitzen das am weitesten entwickelte PAC-3 Patriot System und haben darauf ausgebildete Fachkräfte. Die NATO hat ein Interesse daran die Ostgrenze militärisch zu sichern. Die Entscheidung der Türkei für Patriot ergibt daher Sinn und ist im beidseitigen Interesse im Hinblick auf die Raketenarsenale Irans und Syriens.

Die Entscheidung für oder gegen Patriot ist also unabhängig von den mit dem System genannten, unmittelbar zusammenhängenden Faktoren. Das macht die Argumente der „Rutsche“ und der „Flugverbotszone“ invalide, denn auch wenn das reale Möglichkeiten sind  haben sie nichts mit Patriot zu tun. Das Argument der Bündnissolidarität steht dagegen, daher müsste man grundsätzliche Einwände zur NATO-Beteiligung der Türkei vorbringen.

Das NATO-Engagement der Türkei: viele Fragezeichen

Es gibt in der Tat einiges am NATO-Engagement der Türkei auszusetzen. Das ändert grundsätzlich nichts an der Notwendigkeit der Partnerschaft (allein aus geostrategischen Gründen ist die Türkei unverzichtbar), aber die türkische Außenpolitik gibt Anlass zu Bedenken. Die Einschüchterungen und massenhaften Verhaftungen im Land haben ein Klima der Angst unter Journalisten geschürt. Das führt dazu, dass Informationen zu militärstrategischen Erwägungen, wichtigen Treffen und NATO-Beschlüssen oft undurchsichtig sind und unhinterfragt bleiben. Außerdem wurde die türkische Bevölkerung fehlinformiert und hat unrealistische Erwartungen an die AKP-Regierung, welche den Hass auf die NATO, den Westen und Israel schürt (siehe z.B. auch die Lüge der türkischen Regierung die eigene Armee werde „am Drücker“ sein). Andererseits hat Ankara innerhalb seines NATO-Engagements pragmatisches Handeln gezeigt.

Im Zuge von Israels Gaza-Operation hat man gesehen, dass sich die Türkei de facto durch ihre Nahostpolitik ins Aus manövriert hat. Annäherungsversuche an den Iran beruhten auf einer politischen Fehleinschätzung der iranischen Hegemonialambitionen. Das rächt sich im Zuge der Syrienkrise in Form von Flüchtlingswellen, möglichen Rückzugsgebieten und Waffenlieferungen durch den Iran und Syrien an die militant-kurdische PKK. Hätte Erdogan sich nicht ohne Not mit Israel überworfen, dann bliebe ihm ein militärischer Verbündeter der ebenfalls — gelinde gesagt — Probleme mit dem Iran hat. Erdogans Hetze gegen Israel hilft ihm in der arabischen Welt nicht weiter. Die regierenden Muslimbrüder in Ägypten haben eine viel bessere Beziehung zu der Hamas im Gazastreifen (Hamas ist ein palästinensischer Ableger der Muslimbruderschaft) als die Türkei und zudem geographisch eine zentralere Rolle: Kontrolle des Sinais, Grenzen zu Gaza und Waffenrouten über den Sudan.

Das israelisch-türkische Sicherheitsbündnis hätte in der Situation für strategisches Handeln der NATO mehr Möglichkeiten offen gehalten. Die Machtspiele der türkischen Regierung in der Region haben demnach Raum für gemeinsames Vorgehen mit der NATO in Bezug auf Iran und Syrien unterminiert. An dieser Stelle hat das Argument der „Rutsche“ wieder seine Berechtigung: in der Tat könnte Ankaras desaströse Politik in der Region die NATO in unerwünschte Konfliktherde drängen.

Die Unterstützung der türkischen Raketenabwehr durch Patriot und Bundeswehrfachkräfte ist letzten Endes dennoch sinnvoll, da keine Nachteile daraus entstehen können (die nicht unabhängig davon ohnehin gegeben sind) und die Türkei vielleicht daran erinnert, wie wichtig die NATO für die eigene Sicherheitsinfrastruktur ist. Kurzum, nun muss die Türkei liefern: eine Wiederherstellung der Türkei-Israel Sicherheitspartnerschaft, klare Kante gegen den Iran zeigen und Transparenz in der militärischen Zusammenarbeit, d.h. ehrlich mit der Öffentlichkeit kommunizieren.

Niklas Anzinger studiert Philosophy & Economics (B.A.) an der Universität Bayreuth und hat als Redaktionsassisstent bei Turkish Policy Quarterly in Istanbul gearbeitet.

1 Kommentare

  1. Felix Says:

    Richtiger Appell, Niklas! Bündnissolidarität ist keine Einbahnstraße. Bei der klaren Kante gegen Iran könnte man in meinen Augen gleich anfangen. Es wäre sinnvoll, zu prüfen, ob die Patriots im Rahmen der NATO-Raketenabwehr nicht gleich dauerhaft dort stationiert werden könnten. Eben mit Blick auf Iran und gerade aus den technischen Gründen, die du nennst.






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