Mehr Mut zu Europa

Jürgen Trittin │ 28. August 2012



Europa ist eine Erfolgsgeschichte, unter anderem weil es eine Transferunion ist – von der nicht zuletzt wir Deutschen profitierten. Ein Ausweg aus der Krise ist ohne gemeinsame Gewährleistungen nicht möglich. Die unterschiedlichen Ursachen dieser Krise erfordern unterschiedliche Maßnahmen und nicht nur ein Spardiktat. So brauchen wir eine europäische Bankenunion, eine exekutiv wirksame europäische Bankenaufsicht und einen europäischen Bankenrestrukturierungsfonds.

„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“[1]. So ungeschönt unterstrich die Kanzlerin den Ernst der Lage, in der wir uns seit zwei Jahren der europäischen Schuldenkrise befinden. Nur will das Krisenmanagement der schwarz-gelben Bundesregierung nicht so recht zur Dramatik der gewählten Worte passen.

Die Lage spitzt sich immer mehr zu, Europa befindet sich am Scheideweg. Wir brauchen endlich mutige Maßnahmen, um ein Auseinanderbrechen der Eurozone zu verhindern und das europäische Projekt zu retten. Jedoch ist das Krisenmanagement der Bundesregierung bis heute geprägt von Zögern und Zaudern, die Kanzlerin agiert nach dem Muster „too little, too late“. Das irritiert nicht nur viele unserer europäischen Partner, sondern auch unsere transatlantischen Freunde, die offen ihre Sorge über den fehlenden politischen Willen Deutschlands zur Lösung der Eurokrise äußern.

Das zögerliche Agieren hat diese Krise verschärft und verteuert. Es hat dazu geführt, dass der Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bis heute nicht in Kraft ist, weil die Kanzlerin - aus Furcht vor Abweichlern in den eigenen Reihen - die Abstimmung darüber an den Fiskalpakt gekoppelt hat. Eine unnötige und verantwortungslose Verzögerung. Deshalb muss die Europäische Zentralbank (EZB) weiterhin die Rolle der unfreiwilligen Retterin übernehmen. Die EZB versucht seither, durch massive Aufkäufe von Staatsanleihen aus Krisenstaaten das Schlimmste zu verhindern. Sie muss die Risiken übernehmen, die Zinsgewinne bleiben bei den Banken. Die Kredite der EZB übersteigen mittlerweile das Volumen des ESM bei weitem. Und dennoch wollen CDU, CSU und FDP den Bürgerinnen und Bürgern immer noch weismachen, es werde keine gemeinsame Haftung für Schulden in Europa geben. Hinter den Milliardenkrediten der EZB stehen aber die europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Was ist das anderes als eine Haftungsunion? Die Wahrheit ist doch: Von der Montanunion über die Gemeinsame Agrarpolitik, von den Strukturfonds bis hin zu den Liquiditätstransfer durch die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität – dieses Europa besteht aus lauter Transfers. Es gibt nicht nur eine gemeinsame Haftung der Mitgliedstaaten für Anleihen, Europa hat sogar erfolgreich Eurobonds eingesetzt zur Abwehr der Spekulation gegen Ungarn und Lettland. Europa ist eine Erfolgsgeschichte, unter anderem weil es eine Transferunion ist – von der nicht zuletzt wir Deutschen profitierten. Ein Ausweg aus der Krise ist ohne gemeinsame Gewährleistungen nicht möglich. Diese Wahrheit sollte die Bundesregierung endlich offen aussprechen, sonst verschärft sie die Europaskepsis und das bröckelnde Vertrauen in die Politik.

Grundlage für Merkels falsche Therapie ist eine falsche Diagnose und damit das zweite Märchen neben dem Nein zu einer Haftungsgemeinschaft. Das Märchen von der Staatsschuldenkrise. Wir haben es eben nicht nur mit überbordendem Staatskonsum der Peripheriestaaten zu tun, sondern auch mit massiven Bankschulden und privater Überschuldung. Spanien beispielsweise war lange Zeit haushaltspolitischer Musterknabe. 2007 lag die spanische Verschuldungsquote bei 36 Prozent. Selbst heute ist die staatliche Verschuldungsquote in Spanien niedriger als in Deutschland unter der angeblichen Sparkanzlerin Angela Merkel.

Die unterschiedlichen Ursachen dieser Krise - die Verschuldung von Banken, privaten Haushalten und Staaten sowie massive makroökonomische Ungleichgewichte in der Eurozone – erfordern unterschiedliche Maßnahmen und nicht nur ein Spardiktat. So brauchen wir zügig eine europäische Bankenunion, eine exekutiv wirksame europäische Bankenaufsicht und einen europäischen Bankenrestrukturierungsfonds. Um den Teufelskreis aus immer höheren Refinanzierungskosten und der Anhäufung von Schulden zu durchbrechen, bietet der Schuldentilgungsfonds, wie vom Sachverständigenrat der Bundesregierung vorgeschlagen, den richtigen Ansatz. Mit einer gemeinschaftlichen Haftung für ausgelagerte Schulden, die 60 % des BIP überschreiten, können nicht nur neue Schulden begrenzt, sondern auch alte Schulden abgebaut werden. Dieser Schuldenabbau sollte durch eine zeitlich befristete Vermögensabgabe finanziert werden. Darüber hinaus müssen die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone endlich abgebaut werden - durch eine Stärkung des Binnenmarktes und die Einführung von Mindestlöhnen. Und wir müssen durch Investitionen für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung Europas Kurs in die Rezession stoppen.

Das alles sind Schritte, die jetzt gegangen werden müssen, anstatt weiter über das mögliche Ende des Euros zu spekulieren. Klar ist: Die Kosten eines Auseinanderbrechens der Eurozone wären mit Sicherheit weit höher als die Ausfallrisiken, die sich aus den Kreditgewährungen und Haftungsübernahmen der Rettungsschirme ergeben. Ganz zu schweigen von den Kosten einer gescheiterten europäischen Integration und dem Verlust von Gestaltungskraft in globalen Gremien. Deutschland allein hat in einer globalisierten Welt auf Dauer kein Gewicht. Um politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen, brauchen wir eine handlungsfähige und starke Europäische Union. Langfristig müssen dafür auch Entscheidungsbefugnisse auf die Gemeinschaftsebene der EU überführt werden. Ein demokratischerer Aufbau der EU mit einem stärkeren Parlament liefert dabei die Grundlage für eine entsprechende Kompetenzübertragung. Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass ein neuer europäischer Konvent diese Zukunft Europas entwerfen soll. Denn ein Europa der Regierungen und der Hinterzimmerpolitik wird von den Bürgerinnen und Bürgern zu Recht nicht akzeptiert. Wir brauchen endlich mehr Mut zu Europa. Und wir brauchen mehr Mut, offen und ehrlich über dieses Europa zu streiten.

Jürgen Trittin ist Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen im Deutschen Bundestag.


[1] Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat und zum Eurogipfel am 26. Oktober 2011, Plenarprotokoll 17/135, S. 19.

Quelle Artikelbild: Heinrich Böll Stiftung / Wikipedia Commons

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