Die Ergebnisse des NATO-Gipfels: Ein Auftrag zu europäischer Kooperation!

Florian Knaack │ 15. Juni 2012



Die Europäer werden im pazifischen Jahrhundert Washingtons mehr Lasten in der NATO tragen müssen. So zwingt eine erfolgreiche Umsetzung der Beschlüsse von Chicago zur Stärkung des europäischen Pfeilers für eine engere Zusammenarbeit. Die Durchsetzungskraft der NATO als sicherheitspolitischer Akteur wird mehr denn je vom Willen der europäischen Alliierten abhängen, militärisch miteinander zu kooperieren. Allerdings birgt die Notwendigkeit einer so engen Kooperation erhebliches Spannungspotential. 

Die NATO als „Multiplikator der Kräfte“

Mit der Vereinbarung von mehr als 20 multinationalen Rüstungsprojekten im Rahmen des Smart-Defense Konzeptes, scheinen die NATO-Partner den richtigen Weg zu beschreiten, um eine Entwicklung zu verhindern, dass aus der Wirtschafts- und Finanzkrise eine Krise der Sicherheit wird. Geld wird zwar nicht gespart, aber intelligenter ausgegeben und so Ausrüstung und operative Fähigkeiten erworben, die man sich alleine nicht hätte leisten können. So ist es zumindest vereinbart: Neben der Anschaffung von fünf US-Drohnen für die „Alliance Ground Surveillance“ (AGS) wurde unter anderem die Vereinheitlichung des Nachschubs von Treibstoff für Truppen, Munition für Kampfjets, die Anschaffung von Tankflugzeugen und die Poolbildung im Bereich der Seeaufklärung beschlossen.

Diese „Multiplikation der Kräfte“ ist sowohl im Interesse der der USA als auch in dem der Europäer. Für die zum Sparen gezwungenen USA stellt ein leistungsfähiges Bündnis eine wichtige Absicherung der strategischen Orientierung in die Pazifikregion dar. Für die Europäer ist es die einzige Möglichkeit, bei sinkenden Verteidigungsausgaben einsatzfähig zu bleiben. Dieses Zusammenlegen und Aufteilen von Ressourcen und Aufgaben bedeutet jedoch nicht nur ein Verlust nationaler Souveränität. „Smart Defense“ birgt auch die Gefahr, dass sich einzelne Partner den gemeinsam vereinbarten Projekten zurückziehen, wodurch sich die Kosten für die Übrigen erhöhen würden. Zudem kann die altbekannte Furcht, sich im Ernstfall nicht auf die Bündnispartner verlassen zu können, die Zielsetzungen des Konzeptes unterlaufen.

Afghanistanabzug – ISAF als NATO-Netzwerk

Diese Problematik zeigte sich deutlich an der Ankündigung des neuen französischen Präsidenten Hollandes, die französischen Kampftruppen entgegen des vereinbarten Auslaufens der Kampfmission im Jahr 2014 bereits Ende dieses Jahres aus Afghanistan abziehen zu wollen. Einem „Wettlauf zum Ausgang“  begegnen die Partner mit dem in Chicago zeitlich klar umrissenen Abzugsplan. Das Ziel ist die kontinuierliche Übergabe der Sicherheitsverantwortung an afghanische Kräfte, die demnächst 75% der Gebiete, in denen die afghanische Bevölkerung lebt, sichern sollen. Bis Mitte 2013 soll die vollständige Verantwortung in afghanischen Händen liegen und die ISAF Mission Ende Dezember enden. Nach 2014 soll im Rahmen einer neuen Operation hauptsächlich die Beratung und Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte gewährleistet werden. Obwohl die Partner darauf drängen, ihre Soldaten aus Afghanistan heimzuholen, fürchten vor allem US-Strategen, dass der Großteil der in Afghanistan erworbenen Errungenschaften der Kooperationspraxis verloren geht.

Die ISAF-Mission macht die NATO zu einem Kern eines globalen Netzes von Bündnissen, das ein Zusammenwirken verschiedener Länder in wechselnden Allianzen ermöglicht und eine zweite Säule des Smart-Defense Konzeptes repräsentiert.

Raketenabwehr

Zum Smart-Defense Konzept zählt auch der Raketenabwehrschirm, dessen erste Phase auf dem Gipfel in Betrieb genommen wurde. Diese setzt sich aus einer Frühwarnradaranlage in der Türkei, die mit US-Marineschiffen im Mittelmeer vernetzt ist und von Rammstein in Deutschland kommandiert wird, zusammen. Die Inbetriebnahme der nächsten Phasen sollen ca. 2016/2017 mit deutschen Raketen in Rumänien und niederländischen Fregatten und 2018 mit US-Abfangraketen in Polen erfolgen. Bis 2020 soll das System alle NATO-Partner vor Angriffen mit ballistischen Raketen schützen. Obwohl in zwei Erklärungen festgehalten wurde, dass das System nicht gegen Russland gerichtet ist, bleibt Moskau bei seiner strikt ablehnenden Haltung gegenüber dem Projekt und fordert zu den politischen Erklärungen des Gipfels, zusätzlich rechtliche Garantien und eine Beteiligung am System. Im Westen wird beides abgelehnt. Russland wird insbesondere auf Polen und Rumänien erheblichen Druck ausüben, um die Inbetriebnahme der nächsten Phasen des Raketensystems zu verhindern.

Smart Defense bedeutet keine Entlastung – Deutschland ist gefordert

Die Vereinbarungen des Gipfels können wesentlich zur Stärkung des europäischen Bündnispfeilers beitragen, was jedoch Anstrengungen erforderlich macht. Den europäischen Partnern wurde auf dem Gipfel die Möglichkeit zur Schaffung einer vernetzten Sicherheitsarchitektur eröffnet. So darf das absehbare Ende der kostenaufwendigen ISAF-Mission von europäischer Seite nicht als Möglichkeit zum Sparen gesehen werden. Vielmehr als Chance die frei werdenden Ressourcen dieser Sicherheitsarchitektur zuzuführen. Die in Afghanistan gesammelten Erfahrungen der langjährigen Kooperation müssen, gerade in Zeiten gegenseitiger Abhängigkeit, im Rahmen der NATO weiterentwickelt werden. Noch immer ist Europa zu sehr von amerikanischen Ressourcen abhängig, wie die NATO-Operation in Libyen gezeigt hat. Seine Schwächen kann Europa nur gemeinschaftlich ausgleichen. Gegenseitiges Vertrauen in Zeiten wachsender Interdependenz ist von daher unverzichtbar.

Deutschland muss hier Aufholarbeit leisten. Nach der unglücklichen Libyen-Politik ist Berlin gefordert Impulse zu setzen. Auch weil die deutsche Wirtschaft der Schuldenkrise bislang vergleichsweise gut widersteht, steigen die Erwartungen an Berlin auch bei Übernahme militärischer Aufgaben im Rahmen der NATO führend mitzuwirken. Hinsichtlich der schlechten NATO-Russland Beziehungen zu Russland ist Deutschland gefordert, Akzente zur Verbesserung zu setzen. Insbesondere da während der Präsidentschaftswahlen die USA traditionell außenpolitisch passiv sind. Dieser Effekt verstärkt sich für den transatlantischen Raum noch zusätzlich durch die geostrategische Umorientierung. Sollten die kleineren Bündnispartner keine zuverlässigen Führungssignale aus Brüssel erhalten, könnten diese russischem Druck nachgeben, was das Raketenabwehrprojekt gefährden würde. Nicht umsonst hat der polnische Außenminister Sikorski Deutschland im letzten November als unentbehrliche Nation bezeichnet, dessen Tatenlosigkeit er mehr fürchte als dessen Machtausübung.

Florian Knaack ist Doktorand am Institut für Sozialwissenschaften (Fachbereich Politik) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

3 Kommentare

  1. Nicolas Sölter Says:

    Das klare Fazit kann man nur unterschreiben: Deutschland ist mehr denn je dazu aufgefordert, zu einer seiner Größe entsprechenden Sicherheitspolitik im europäischen und transatlantischen Korsett zu finden. „Smart Defence“ muss der Anfang einer neuen und gerechteren Lastenteilung sein, die für Deutschland zumindest kein Signal zum Sparen sein darf.

  2. Sebastian Bruns Says:

    @Norman Reppingen: Den Zusammenhang zwischen dem politisch unzuverlässigen Handeln der Bundesregierung im Rahmen der - man muss es unterstreichen - Allianz namens NATO und den Salafisten erschließt sich mir nicht.

    Ich glaube, dass die Welt ohne Gaddafi eine bessere ist. Was aus Libyen wird, muss man sehen - aber der Status Quo Ante wäre nicht haltbar gewesen. Und es gibt ja keine Boden- oder Besatzungstruppen, die Libyen jetzt unterjochen. Und um dem Folgeargument mal den Wind aus den Segeln zu nehmen: Ja, natürlich ist internationale (Sicherheits-)Politik doppelzüngig - warum in Libyen eingreifen und in Syrien nicht? Da kommt man dann auf die Interessen, die im Kommentar zum Beitrag ebenfalls angesprochen werden. Ich kann micht nicht entsinnen, wann (1) Deutschlands Interessen breit und deutlich kommuniziert wurd und (2) inwiefern Raketenschild und NATO (darauf zielen Sie ja, oder?) diesen unseren Interessen widersprächen bzw. gar verfassungswidrig wären. Das scheint mir doch eine gewagte These.

  3. Florian Knaack Says:

    Zunächst möchte ich mich für die Anmerkungen zu meinen Ausführungen bedanken. Doch ich kann bezüglich des Kommentars von Norman Reppingen Sebastian Bruns nur zustimmen. Was die Anschaffung der Drohnen durch die NATO mit den Salafisten in Deutschland zu tun hat, ist mir absolut nicht klar. Da würde ich um Erklärung bitten. Genauso verhält es sich mit der These Deutschland müsse zunächst einmal ein souveräner Staat „im engeren Sinne“ werden. Deutschland hat mit dem 2+4 Vertrag seine vollständige Souveränität wiedererlangt. Ich bitte hier ebenfalls um Erklärung was mit Souveränität „im engeren Sinne“ gemeint ist. Wie hängt die Souveränitätsproblematik, die es meines Erachtens nach nicht gibt, mit dem Raketenschirm zusammen?






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