Weniger Vergangenheit, mehr Verantwortung

Dr. Thomas de Maiziere │ 29. Mai 2012



Die Auslandseinsätze der Bundeswehr – wichtiger Beitrag zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik

Wer in Deutschland öffentlich den Einsatz von Streitkräften als ein notwendiges Instrument der Politik befürwortet, zieht überwiegend Kritik auf sich. Umso wichtiger ist ein sicherheitspolitischer Dialog, umso notwendiger die Debatte darüber, in welchen Fällen und unter welchen Bedingungen der Einsatz deutscher Streitkräfte akzeptabel oder gar geboten ist.

Zu Beginn des Jahres hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit das Mandat für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) für Afghanistan um ein Jahr verlängert. Zur Beteiligung am ISAF-Einsatz sind bis zu 4.900 deutsche Soldaten vorgesehen. Das sind 450 weniger als bisher. Bis zum Ende des Mandatszeitraums ist eine weitere Reduzierung auf 4.400 geplant. Vorausgesetzt, die Sicherheitslage erlaubt es, und weder unsere Soldaten noch die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses sind gefährdet.

Die Reduzierung des Kontingents der Bundeswehr in Afghanistan wird möglich, weil wir gemeinsam mit unseren Partnern wesentliche Fortschritte erzielt haben. Die Afghanen übernehmen mehr und mehr selbst die Verantwortung für ihre Sicherheit, für ihr Land. Das ist ein wichtiger Schritt in eine souveräne und stabilere Zukunft Afghanistans. Erstmals 2012 und dann in weiteren Schritten werden wir unser militärisches Engagement bis Ende 2014 reduzieren. Auch nach 2014 wird Afghanistan unsere Hilfe brauchen, gerade auf dem Gebiet der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Deutschland steht zu seinen Hilfszusagen – aus Verantwortung gegenüber dem afghanischen Volk und weil es deutschen Interessen dient. Deutsche Außenpolitik ist wertegebunden und interessengeleitet.

Deutschland trägt ebenso Verantwortung für die Stabilität der internationalen Beziehungen wie andere große Nationen auf der Welt auch. Das war nicht immer selbstverständlich. Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus waren wir darauf angewiesen, wieder als gleichberechtigtes Mitglied in die internationale Staatengemeinschaft aufgenommen zu werden. Erst mit der Wiedervereinigung hat Deutschland seine volle Souveränität erlangt. Wir sind gleichberechtigt, aber auch gleichverpflichtet. Nicht mehr unsere Vergangenheit bestimmt zuvorderst unser Handeln, sondern unsere aktuelle Verantwortung. Wir werden uns darauf einzustellen haben, dass unser Beitrag künftig stärker als heute gefragt sein wird, dass wir zusätzliche Verpflichtungen übernehmen müssen. Das kann zur Folge haben, dass auch der Einsatz unserer Streitkräfte gefragt ist, auch wenn unsere unmittelbaren nationalen Sicherheitsinteressen auf den ersten Blick nicht berührt sein mögen. Nicht überall und jederzeit, aber prinzipiell.

Die Diskussion darüber wird uns viel abverlangen. Das sollte sie auch, schließlich entscheiden wir bei jedem Mandat darüber, ob und in welcher Form unsere Soldaten ihre Gesundheit und ihr Leben für unsere Sicherheit einsetzen. Es ist dabei eine gute Entwicklung, dass im zehnten Jahr des Afghanistan-Einsatzes und vor dem Hintergrund der Aussetzung der Wehrpflicht wie auch der Neuausrichtung der Bundeswehr intensiver und breiter über bundeswehr- und sicherheitspolitische Fragen diskutiert wurde als in vielen Jahren zuvor. Das ist richtig und notwendig. Nur so stärken wir den gesellschaftlichen Konsens über Sinn und Zweck der Bundeswehr und den Einsatz deutscher Streitkräfte für unsere Sicherheit und den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger. Die Dynamik des sicherheitspolitischen Umfelds entlässt uns dabei nie aus der Verantwortung, immer wieder aufs Neue zu prüfen, welchen Bedrohungen und Risiken wir ausgesetzt sind und wie wir uns gegen sie schützen wollen. Auch die Frage nach den Grundlagen unserer Gesellschaft, unserer Werte und Normen sollte einen noch größeren Stellenwert in der Diskussion darüber erhalten, wen oder was es zu schützen gilt.

Wir brauchen eine offene Debatte: über Deutschlands Verantwortung in der Welt und wie wir dieser gerecht werden wollen; über deutsche Interessen und wie wir diese verfolgen wollen; über die Anwendung militärischer Gewalt und wofür wir bereit sind, unsere Streitkräfte einzusetzen. Drei wesentliche Erkenntnisse aus dem vergangenen Jahr sollten uns in dieser Diskussion und in diesem Jahr leiten. Erstens: Nur wer bereit ist, sich weiter zu entwickeln, kann in einer sich verändernden Welt bestehen. Zweitens: Wer gestalten will, muss Verantwortung übernehmen. Drittens: Herausforderungen lassen sich nur mit Partnern lösen.

Deutschland folgt einer Kultur der Verantwortung, die Sicherheit umfassend und als gemeinsame Aufgabe begreift, national wie international. Ressortübergreifend und mit unseren Partnern in den Vereinten Nationen, der NATO und der Europäischen Union können wir Außen- und Sicherheitspolitik wirksam und verantwortungsbewusst gestalten. Die Bundeswehr leistet dazu einen Beitrag – jeden Tag, derzeit mit über 7.000 Soldatinnen und Soldaten in elf Einsätzen auf drei Kontinenten. Das ist ein sichtbarer und wichtiger Beitrag zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.

Dr. Thomas de Maizière ist Bundesminister der Verteidigung.

Quelle Autorenbild: BMVg

Quelle Artikelbild: Bundeswehr

3 Kommentare

  1. F. Langen Says:

    „Erst mit der Wiedervereinigung hat Deutschland seine volle Souveränität erlangt. Wir sind gleichberechtigt, …“

    Sehr geehrter Herr Bundesminister!

    Zu erst fällt mir auf, dass Ihre von mir zitierte Aussage im Widerspruch zur Aussage des Herrn Minister Schäuble steht, nach der Deutschland nach 1945 zu keinem Zeitpunkt souverän gewesen sein soll. Dabei handelt es sich für einen Staatsbürger um einen interessanter Dissenz, der dazu äußerst relevant ist. Diese Frage ist sicherlich bedeutungsvoller, als eine rechtliche Detailfrage es sein mag. Es handelt sich letztlich um eine Seinsfrage, eine Wesensfrage.

    zudem möchte ich Sie in Bezug auf das obige Zitat auf einen direkten Widerspruch hinweisen, der direkt bdarauf folgt. Danach sei Deutschland zwar souverän aber „verpflichtet“. Die Verpflichtungen können sich nur aus völkerrechtlichen Bindungen ergeben. Die wichtigste Verpflichtung ergibt sich aus Art. 5 NAV. Daraus ergibt sich aber nicht mehr, als die Prüfung, in wie weit die Bundesrepublik in der Lage ist einem angegriffenen Vertragsmitglied zu unterstützen, und diese Hilfe dann zu vollziehen.

    In keinster Weise ergibt sich eine weitergehende Pflicht, als dies der Bundestag in Ausübung der Rechte des Deutschen Volkes demokratisch legitimiert hat.

    Alles andere ist politische Zweckmäßigkeit. Und die hat sich klar im Rahmen des Grundgesetzes zu bewegen. Der Zweck, dem die Regierung zu dienen hat, ist Art. 64 Abs. 2 und 56 Satz 1 GG zu entnehmen. Selbstverständlich unterstelle ich Ihnen vollstes Engagement zu diesem Zwecke. Und selbstverständlich ist es mir völlig klar, daß Deutschland nicht nur geostrategisch einerseits und historisch andererseits in einer schwierigen Lage steckt. Dennoch fällt es mir schwer, Regierungshandeln und Regierungsäußerungen noch von diesem Zweck geleitet zu sehen. Um wieviel weniger können dies Menschen, in zunehmenden Maße in meinem Umfeld, die dieses grundsätzliche Vertrauen nicht mehr besitzen?

    Es klafft eine argumentative Lücke, die sich auftut, wenn man Art. 56 Satz 1 GG heranzieht und dann das Wohl der westlichen Gemeinschaft als identisch mit dem normirten Handlungszweck der Bundesregierung ansieht, ohne dies weiter zu erläutern. Gerade die Betonung der erungenen Souveränität, eröffnet diese Lücke erst. Ich mag mir dieses noch mit einem Schuß Wohlwollen erschließen. Andere tun das nicht. Und bei diesen „anderen“ handelt es sich häufig um Offiziere und höhere Feldwebel der Bundeswehr, wie auch um interessierte und gebildete Bürger.
    Unter Annahme einer nicht bestehenden rechtlichen oder faktischen Souveränität der Bundesrepublik wäre diese Lücke geschlossen. Dann allerdings stellte sich die Frage, was die Bundesregierung wohl unternähme, um diese Souveränität zu gewinnen?

    Nimmt man als Gedankenspiel an, die Bundesrepublik wäre weder faktisch noch rechtlich souverän, stellt sich immerhin eine interessante frage: Inwiefern wäre die Politik in Handeln und Reden eigentlich eine andere?

  2. F. Langen Says:

    PS: Während mein Vorkommentierender, Norman Reppingen, sich auf die von Herrn Bundesminister angesprochenen „Werte“ stützt, so liegt der Fokus meines obigen Kommentars auf Fragen von „Souveränität“ und „Interesse“.

    Die Betrachtung von „Werten“ ist natürlich ebenfalls interessant. Interessant ist zuerst wohl ihr Herkommen, ihr Sinn, Zweck und Inhalt.
    Wer von wertebasierter Sicherheitspolitik spricht, sollte diese ansprechen und erläutern. Schnell wird man feststellen, daß man hier kaum Einigkeit erzielen kann.

    Während die Frage nach Interesse und Souveränität Fragen der Verantwortungsethik aufwirft, und damit letztendlich die Frage, wem die Bundesregierung eigentlich letztendlich verantwortlich ist (diese Frage klärt zum Glück das Grundgesetz in Art. 20, nämlich: dem deutschen Volk), stellt die Frage nach „Werten „wohl eher die Handlungsethik in den Mittelpunkt.

    Während die Verantwortungsethik letztendlich den Zweck des Regierungshandelns leiten sollte, so stellt die Handlungsethik deren Begrenzung dar.

    Im Zusammenhang mit der Verantwortungsethik stelle ich mir die Frage: Geht von einer in Deutschland stationierten amerikanischen Staffel F-117-Bomber tatsächlich eine geringere Gefahr für Deutschland aus, als von einer Handvoll asymetrischer Taliban oder El-Kaida-Kämpfer am anderen Ende der Welt?

    Im Zusammenhang mit der Handlungsethik stelle ich mir die Frage, ob es richtig sein kann, wenn Verbündete in einem fremden souveränen Staat bürgerkriegsähnliche Zustände herstellen und fördern und dabei den Tod von unbeteiligten Zivilisten dabei mindestens billigend in Kauf nehmen? Ohne dabei auf die Tränendrüse drücken zu wollen: Wie kann man dies mit „Werteorientierung“ in Einklang bringen? - Ich vermag das nicht.

  3. Jan Falk Says:

    Die Frage, die F. Langen aufwirft, wird auch von Norbert Häring in der Wirtschaftswoche (http://www.wiwo.de/politik/konjunktur/stimmt-es-dass-uebt-schaeuble-busse-fuer-den-weltkrieg/6700842.html) aufgeworfen. Sie wartet schon auf eine Antwort, nicht zuletzt wegen der Widersprüchlichkeit der Aussagen von Schäuble und de Maiziere. Denn: Wäre die Bundesrepublik nicht souverän, könnte man wohl kaum von einer Politik ausgehen, welche auf das Wohl des Deutschen Volkes ausgerichtet ist, sondern es ließe sich dann indiziell annehmen, dass eine solche Politik dem Wohle derjenigen diente, die diese Souveränität innehaben mögen.
    Die Aussage Schäubles hat mich damals schockiert. Zum ersten mal kann ich von mir selbst sagen, daß ich ein Vertrauen verloren habe, daß ich jahrelang - unreflektiert - besaß. Nun stehen viele Fragezeichen zwischen meinem gewonnen generellen Mißtrauen und einem erneuten Vertrauenfassen. Ich stelle fest, daß der Vertrauensverlust schon weit um sich gegriffen hat. Wie will denn die Politik die derzeitigen Herausforderungen meistern, wenn das native Grundvertrauen der Bürger erodiert?






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