Washington spart: Europa ist auf dem NATO-Gipfel gefordert!

Florian Knaack │ 30. April 2012



Die Obama-Administration ist im Wahljahr mehr denn je daran interessiert, Lasten aus der post-9/11 Dekade an die europäischen NATO-Partner abzugeben. Die Kürzungen im US-Militäretat und die verstärkte geostrategische Gewichtung der Asien-Pazifik-Region, drängen Europa in eine Verantwortung, die für die künftige Operationsfähigkeit der NATO entscheidend ist. Eine weit engere militärische Zusammenarbeit unter den Europäern ist daher unumgänglich.

Smart Defence – Konzept im Sinne der USA

Erstmals seit 1998 werden nicht nur in Europa, sondern auch auf US-Seite die Verteidigungsausgaben gekürzt, was für den militärischen Teil der NATO spürbare Folgen haben wird. Das Smart Defence Konzept des NATO-Generalsekretärs Rasmussen zielt darauf ab, der Reduzierung finanzieller Mittel bei den Rüstungsausgaben mit verbesserter bündnisinterner Lastenteilung und effizienterer Nutzung bestehender Ressourcen zu begegnen.

Schon während des Libyen-Einsatzes hatte Robert Gates die Europäer vor zu tiefen Einschnitten bei den Verteidigungsausgaben gewarnt und den Partnern das Ende der Lückenfüllerfunktion der USA in der NATO prognostiziert. Mit dem Libyen-Einsatz wurde ein Wendepunkt der amerikanischen NATO-Politik erkennbar. Die Operationsfähigkeit des Bündnisses wird künftig immer weniger durch US-Truppen gewährleistet. Entsprechend hängt sie entscheidend von der erfolgreichen Implementierung des Smart-Defense Konzeptes ab. Die USA werden in Chicago von den europäischen Partnern mehr Bereitschaft zum Engagement erwarten.

Abzug aus Afghanistan als Beginn eines neuen Kapitels der NATO

Der Wunsch der USA nach Entlastung wurde zudem durch den Vorschlag, die US-Truppen noch vor 2014 aus Afghanistan abzuziehen, offensichtlich. Trotz des Widerrufs durch Verteidigungsminister Panetta haben die daraus entstehenden Irritationen das Bündnis belastet. In Chicago wird es darauf ankommen, die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände zu regeln und die künftige Unterstützung des Landes nach Abzug zu planen. Dabei werden in erster Linie Fragen der finanziellen Hilfe für die afghanische Regierung und der weiteren Ausbildung von Sicherheitskräften in Vordergrund stehen. Die hier beschlossenen Planungen müssen konsequent umgesetzt werden.

Das Ende des Afghanistan-Einsatzes, das in Chicago behandelt wird, läutet zugleich ein neues Kapitel in der Geschichte des Bündnisses ein. Dieses wird von der zentralen Frage geprägt sein, ob die europäischen Partner sich in der NATO zu der geostrategischen Orientierung der USA in Richtung Pazifikraum und ihrer Konsequenzen, die während des Libyen-Einsatzes deutlich wurden, positionieren können. Der Zusammenhalt der Partner wird dabei entscheidend sein. Deutschlands Rolle während der Libyen-Operation zeigt den internen Diskussionsbedarf der europäischen Partner bei der Festlegung einer einheitlichen Position zu solchen, für die NATO essentiellen Fragen.

Europas Beiträge zur Raketenabwehr sind nur symbolisch

In Chicago sollen zudem Fortschritte zum Ziel einer Raketenabwehrfähigkeit präsentiert werden. Die kooperative Ausgestaltung des Raketenabwehrprojekts ist mit Blick auf Russland ein diplomatischer Balanceakt. Obwohl auf dem Gipfel von Lissabon im Jahr 2010 Moskau der Möglichkeit zur Mitarbeit zugestimmt hatte, ist das Abwehrsystem aus Sicht der russischen Regierung ein Anlass zur Sorge. Wünscht man sich aus russischer Sicht die gleichen Mitbestimmungsrechte wie die eines NATO-Mitglieds, hat man sich in der NATO auf zwar sehr eng verzahnte, aber doch getrennte Raketenabwehrsysteme festgelegt.

Hier spiegeln sich jedoch nicht nur die angespannten NATO-Russland Beziehungen wieder. Es wirft auch ein kritisches Licht auf die Lastenteilungspraxis zur Realisierung des Projektes selbst. So sind es letztendlich wieder die USA, die mit Fregatten der Aegis-Klasse die tragende Rolle für den Raketenschirm übernehmen müssen. Die Bereitstellung eigener Patriot-Raketen für das System von deutscher Seite oder der Nutzung eines Marinehafens von Spanien sind lediglich symbolische Beiträge. Wie lange die USA den aus ihrer Sicht befriedeten europäischen Kontinent mit Ressourcenaufwand noch zu schützen gedenken, wird angesichts der geostrategischen Prioritätenverschiebungen auch für das Raketenabwehrprojekt mittelfristig eine wichtige Frage.

Strategische und strukturelle europäische Einigkeit vorantreiben

Die Garantie der Einsatzfähigkeit des Bündnisses liegt zunehmend in europäischen Händen. Dieser Trend wird sich auf dem Gipfel von Chicago manifestieren. Europa muss zur Entlastung in der post-Afghanistan-NATO deutlich mehr finanzielle, materielle und militärische Lasten übernehmen. Dazu müssen die europäischen Partner die strukturellen Defizite der transatlantischen Kooperation in Angriff nehmen: Eine weit enger koordinierte gesamteuropäische Rüstungs- und Streitkräfteplanung wäre ein erster Schritt, um als sicherheitspolitischer Akteur auf Augenhöhe mit den USA zu kooperieren. Ein zweiter wäre die Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU um den Abwärtstrend in den Verteidigungsausgaben und den daraus entstehenden Folgen zumindest ansatzweise begegnen zu können und in Zukunft auch im NATO-Rahmen einsatzbereit zu bleiben.

Mit dem Ende der ISAF-Mission muss der strategische Dialog zwischen den Partnern am Leben erhalten und so Klarheit über die künftigen Aufgaben des Bündnisses geschaffen werden. Sollte sich zu einer mangelnden Operationsfähigkeit ein Mangel an Konsens über die Aufgaben des Bündnisses gesellen, ist die Zersplitterung der NATO gewiss. Auch hier müssen die europäischen Bündnispartner vor Beratungen in NATO-Gremien mit den USA zu einheitlichen Positionen kommen.

Florian Knaack ist Doktorand am Institut für Sozialwissenschaften (Fachbereich Politik) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Quelle Artikelbild: NATO

4 Kommentare

  1. Hans-Heinrich Dieter Says:

    Die neue geostrategische Schwerpunktbildung der USA im Pazifikraum ist auch im Interesse Europas, weil nur so in diesem Wachstumsraum das Gleichgewicht im westlichen Sinne gehalten werden kann. Europa muss die USA deswegen bei Pflichten, die aus den transatlantischen Interessen erwachsen, entlasten. Stabile transatlantische Beziehungen wird es auf Dauer nur geben, wenn alle Partner erkennbar zu ihren Bündnis-Verpflichtungen stehen und insbesondere die Europäer stärker in eine leistungsfähige NATO investieren. Die NATO-Partner müssen dazu in der Streitkräfte- und Rüstungsplanung nationale Egoismen überwinden und zu mehr kostensparender Gemeinsamkeit finden. Darüber hinaus ist es vor ausschlaggebender Bedeutung, dass die EU zu einer wirklich Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik findet auf deren Grundlage die NATO zur Wahrnehmung euro-atlantischer Interessen zukünftig wirksam werden kann.

  2. Sebastian Br Says:

    Florian Knaack hat hier einige wichtige Ansatzpunkte genannt, die einer eingehenden Betrachtung verdienen. Auch wenn ich persönlich glaube, dass das letzte Wort bei einer Beteiligung Deutschlands an der BMD (u.a. mit F124) noch nicht gesprochen wurde, wird wieder einmal unterstrichen, dass Deutschland mehr tun muss, um mangelndes Vertrauen der europäischen und atlantischen Partner auszugleichen. Es ist aber anzunehmen, dass der Wahlkampf 2013 und der Rutschbahneffekt des Afghanistanabzugs (und der damit verbundenen Frage, wie wir die Lektionen diskutieren und annehmen) diesem Prozess den Garaus machen werden.

    PS: Herr Dieters Hinweis auf die Rolle Europas bei Vergleichgewichtung der geopolitischen Räume ist von entscheidender Bedeutung, vielen Dank!

  3. Nicolas Sölter Says:

    Die Beschreibungen und Schlussfolgerungen sowohl von Florian Knaak als auch den Kommentatoren teile ich vollkommen.

    Wenn sich die USA endlich weitestgehend von der wenig sinnhaften Stationierung in Europa befreien, bieten sich die erheblichen Chancen einer räumlichen Arbeitsteilung innerhalb der NATO.

    Auch wenn eine verstärkte GASP der EU, allem voran eine koordinierte Verteidigungspolitik im Sinne geteilter Fähigkeiten, sicher wünschenswert wäre, wird diese gebotene Antwort auf aktuelle Herausforderungen noch lange ein akademischer Ansatz bleiben. Maßgebliche Mitschuld hieran trägt Deutschland, das sich nach wie vor weigert, eine seiner größe entsprechende Verantwortung in der NATO wahrzunehmen.

  4. Florian Knaack Says:

    Herr Dieter hat mit seiner Anmerkung, der geostrategische Wandel der Vereinigten Staaten sei als europäische Chance zu sehen, einen wichtigen Anstoß gegeben. Ich kann seinem Hinweis, dass die USA Europa bei transatlantischen Verpflichtungen entlasten müssen, nur zustimmen.

    Noch tragen die USA 70% der operativen Fähigkeiten der NATO. Doch die europäischen Partner müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass die USA aus der bisherigen Verkennung der engen Verknüpfung zwischen wirtschaftlichen Wohlstand und nationaler Sicherheit lernend, die aufstrebende Asien-Pazifik Region erschließen und ihre Verpflichtungen in der transatlantischen Region aufgrund der Einsparungen im Militärhaushalt reduzieren werden.

    Entsprechend werden die USA Europa brauchen. Denn den Anspruch weltweit eine gestaltende Rolle einzunehmen, vertritt Washington nach wie vor.

    Die Zeiten, in denen die operative Leistungsfähigkeit durch die amerikanischen Streitkräfte aufrechterhalten wird, gehören jedoch zunehmend der Vergangenheit an. Dies ist mit dem Libyen-Einsatz deutlich geworden. Die NATO als “Bündnis im Dauereinsatz” wird schnell zur Ruhe kommen, sollte Europa seinen Bündnisverpflichtungen nicht nachkommen. Deutschland als wirtschaftlich zweitgrößte Macht in der NATO kommt hier eine entscheidende Bedeutung zu. Herr Sölter hat die wenig konstruktive Haltung Deutschlands in dieser Frage zurecht angesprochen, bedenkt man die deutsche Haltung während der Libyen-Operation des Bündnisses. Die europäischen Partner müssen in solch für die NATO essentiellen Fragen mit einer Stimme sprechen. Wieder sei dankend auf die Aufforderung von Herrn Dieter verwiesen, in der EU und damit letztendlich auch in der europäischen NATO eine “wirklich Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik” zu betreiben.

    Denn aus der Notwendigkeit der europäischen Partner Verpflichtungen zu übernehmen, eröffnen sich für sie gleichzeitig Chancen, Einfluss auf die noch zu gestaltende “Vergleichgewichtung der geopolitischen Räume” zu nehmen. Auch das neue strategische Konzept der NATO bietet dafür einige Ansatzpunkte. Elementare Bedeutung könnte dem Abschnitt zum Thema Partnerschaften zukommen, in dem die NATO als Drehscheibe in einem internationalen Netzwerk verzahnter Institutionen und Partner fungieren soll. Dies mit Leben zu füllen kann nicht nur im Interesse Washingtons, sondern auch im Interesse aller Partner sein.

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