Iran-Debatte: Regimewechsel vs. Diplomatie

Redaktion │ 13. April 2012



Nach den Schlagzeilen der letzten Wochen rückt eine militärische Eskalation im Konflikt um Irans Nuklearprogramm in den Bereich des Möglichen. Kommt es zum Krieg oder wird der Konflikt doch diplomatisch gelöst? Was kann der Westen, was kann Deutschland tun?

Niklas Anzinger und Sascha Lohmann sind zwei der profiliertesten Teilnehmer der Iran-Debatte, die auf atlantic-community.org seit Herbst 2010 intensiv geführt wird. Deshalb macht das DA-Team diese spannende, kontroverse Debatte jetzt auch der deutschsprachigen Zielgruppe zugänglich.

Nur ein Regime-Wechsel in Teheran könne den Konflikt beenden, argumentiert Niklas Anzinger. Auch einen Militärschlag gegen die Atomanlagen schließt er nicht aus. Dagegen lehnt Sascha Lohmann einen Militärschlag strikt ab und setzt auf die Diplomatie. Durch gleichzeitige, gegenseitige Schritte und Zugeständnisse in Verhandlungen könne der Konflikt auf politischem Weg gelöst werden, erklärt Lohmann.

Was denkt ihr?

  • Sollte in Verhandlungen an einer politischen Lösung gearbeitet werden oder ist es dafür zu spät?
  • Müssten die Sanktionen noch weiter verschärft werden oder ist es Zeit, die iranische Bevölkerung von den Sanktionsfesseln zu befreien?
  • Ist die Zeit reif für einen präventiven Militärschlag oder muss ein Krieg um jeden Preis verhindert werden?

Diskutiert mit Niklas und Sascha über ihre und über eure Ideen.

Überblick

Niklas Anzinger: Nicht mit dem Regime

Sascha Lohmann: Verhandlungen auf Basis konkreter Reziprozität

Die Autoren

 

Niklas Anzinger: Nicht mit dem Regime

Niklas Anzinger

Eine „Islamische Republik“ in der Form, wie sie im Iran formell als die Herrschaft der Rechtsgelehrten existiert, markiert eine völlig neue Form politischer Herrschaft. Allen Überschneidungen mit anderen Systemen zum Trotz muss der ideologische Kern der islamischen Revolution als Ausgangspunkt für die Einordnung des Verhaltens des iranischen Regimes herangezogen werden. Allein im Wissen um die Erlösungsvorstellung des schiitischen Messianismus, der Märtyrerideologie und des rigiden, staatstragenden Antizionismus und Antisemitismus können außenpolitische Handlungen des Irans verständlich gemacht werden: weltweite Terrorunterstützung, Hinrichtung von Dissidenten im In- und Ausland und ein schon lange währender „versteckter Krieg“ mit Israel. Bei aller Pluralität des enorm komplizierten institutionellen Geflechts der islamischen Republik stehen bei den oftmals gewalttätig ausgetragenen innenpolitischen Konflikten nicht die Verbreitungsmission der islamischen Republik oder die Notwendigkeit der Vernichtung Israels infrage, sondern wie man diese Ziele am besten erreicht .

Der Tugendterror gegen Frauen, gegen Homosexuelle, religiöse Minderheiten und die Finanzierung des Expansions- und Aufrüstungsprogramms auf Kosten des materiellen Wohlstandes ist nicht auf lange Sicht aufrecht zu erhalten, da diese Art der Kriegsführung gegen die eigene Bevölkerung das Regime extrem verhasst gemacht hat. Im Inneren ist es kaum mehr manövrierfähig, es muss sich allein auf seinen Gewaltapparat verlassen, der aus diesem Grund vor den anstehenden Wahlen die Hinrichtung von Oppositionellen immer stärker frequentiert.

Das Atomwaffenprogramm ist militärischer Natur Daraus erwächst ein fundamentaler Antagonismus zu anderen Akteuren in der Region. Weder Sanktionen, noch ein Militärschlag werden viel an den Intentionen des Regimes ändern können – das kann nur sein Sturz. Wirtschaftliche und politische Sanktionen können den Wirkungsradius des Regimes einschränken aber nicht seine Entschlossenheit – die Hoffnung liegt darin, dass das Regime am inneren und äußeren Druck implodiert. Ein für alle Seiten schmerzhafter Militärschlag wird allerdings ab einem gewissen Punkt unausweichlich sein, wenn andere Mittel nicht greifen.

 

Sascha Lohmann: Verhandlungen auf Basis konkreter Reziprozität

Sascha Lohmann

War Präsident Obama 2009 noch mit der Absicht angetreten, eine Politik der ausgestreckten Hand gegenüber Iran zu verfolgen, beschränkte sich deren praktische Umsetzung lediglich auf eine Abkehr von jener aggressiver Rhetorik, die unter der Bush-Regierung noch zur Distanz zwischen Europa und den USA in der Iran-Politik führte. Inhaltlich setzte Obama weiter auf Druck ohne ernsthafte Verhandlungsangebote sowie Sanktionen, die nunmehr vollends zum Strategieersatz geworden den Konservativen um Revolutionsführer Ajatollah Khomeini verlässlich ihren Machterhalt sichern. Der eindeutige Sieg der islamisch-konservativen Kräfte bei den Parlamentswahlen am 2. März 2012, die gegen Zugeständnisse in der Nuklearfrage stehen, ist dafür eine weitere Bestätigung. Die innenpolitischen Determinanten iranischer und US-amerikanischer Außenpolitik im Zeichen zweier anstehender Präsidentschaftswahlkämpfe lassen eine friedliche Lösung des Konflikts zunehmend unwahrscheinlicher erscheinen.

Dabei gibt es Spielräume in den kommenden Verhandlungen, die klug genutzt, den gordischen Knoten zwischen Iran, Israel und dem Westen zerschlagen könnten. Dafür ist es grundlegend, das iranische Atomprogramm zuerst einmal als Ausdruck des Strebens nach Unabhängigkeit, Anerkennung und Modernität und mitnichten als ein Instrument zur Ausschaltung Israels anzusehen. Die zivile Nutzung der Kernenergie basiert folglich auf einem breiten innergesellschaftlichen Konsens, den auch kein Regimewechsel aufweichen würde. Vor dem Hintergrund, dass die Entwicklung und der Besitz von Atomwaffen für Iran aufgrund einer Fatwa des Revolutionsführers verboten sind und der Tatsache, dass US-amerikanische Geheimdienste keine Anhaltspunkte einer Entscheidung für den Bau einer Bombe innerhalb der iranischen Führung bislang erkennen können, ist es nun höchste Zeit für die EU-3 für ein Verhandlungskonzept auf Grundlage konkreter Reziprozität bei den Vereinigten Staaten und Iran zu werben.

Die Vorzüge eines solchen Konzeptes, bei dem beide Seiten durch gegenseitige und gleichzeitige Schritte in eine positive Verhandlungsspirale eingebunden würden, liegen auf der Hand. Dazu zählt unter anderem eine Abkehr von unrealistischen Maximalpositionen, wie der Aufgabe der Urananreichung auf iranischem Boden, die durch reziproke Zugeständnisse auf iranischer Seite einen destabilisierenden und ineffektiven Militärschlag abwenden und den Brennstoffkreislauf mittelfristig multilateralisieren würden.

 

Die Autoren

  • Niklas Anzinger studiert Philosophie und Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth. Er bloggt auf atlantic-community.org und seinem eignenen Blog zum Konflikt um das iranische Atomprogramm.
  • Dipl. Pol. Sascha Lohmann arbeitet derzeit an einer Dissertation zu den Bedingungsfaktoren internationaler Sanktionen.

5 Kommentare

  1. Niklas Anzinger Says:

    Ist der Kollege der Meinung, dass die Iraner nicht die Absicht haben Nuklearwaffen zu produzieren, oder zumindest eine „capability“-Option zu erlangen? Das Argument der Fatwa des Relgiösen Führers liest sich wie ein „Was nicht sein darf, kann nicht sein“ und dürfte doch denjenigen, die zumindest mit den jüngsten Veröffentlichungen von Informationen doch sehr schwach erscheinen. Zumindest die Artikel von Hans Rühle in der WELT, die auch international großes Aufsehen erregt haben, sollten einem aufmerksamen Beobachter der Diskussion bekannt sein. Wenn das der Fall wäre würde der Autor allerdings mit Sicherheit zu anderen Schlüssen kommen.

  2. Norman Reppingen Says:

    Ich weiß nicht wie Sasche Lohmann die Frage beantworten würde, aber nach Aussage der westlichen „intelligence community“ ist man sich einig dass es kein „go ahead“ in Sachen nukleares Waffenprogramm gegeben hat. Worüber man sich auch einig ist, ist dass es eine „inelligence crisis“ gibt, was konkret heißt dass man nicht viele Agenten auf iranischem Boden hat.

    http://www.nytimes.com/2012/03/18/world/middleeast/iran-intelligence-crisis-showed-difficulty-of-assessing-nuclear-data.html?pagewanted=all

    Interessanterweise will nun das Pentagon seinen Fokus auf den Iran legen.
    Erkennbarerweise ohne eine Informationsgrundlage und die Voraussetzungen hierzu zu besitzen. Warum wohl…

    http://www.theaustralian.com.au/news/world/new-spy-agency-to-focus-on-china-iran/story-e6frg6so-1226337206986

    Diese Problematik ist hausgemacht, und ein Teil der Kurzsichtigkeit und flagranter Inkompetenz. Wenn ich ein Land sanktioniere, isoliere, Wirtschaftsbeziehungen einschränke, Austausch unterbinde, kann ich mich doch später nicht hinstellen und Krokodilstränchen vergießen dass ich vor Ort kein Personal habe. Aber genau das tut man.
    Russland und China werden dafür nun umso genauer wissen was im Iran passiert und was nicht. Wollte man da hin, war das das Ziel ?

    Währenddessen versorgt Obama die Debatte mit der allerselben Bush-Kriegsrhetorik,
    die bisher nicht einen Schritt weiter geführt hat, sondern alles verschärft und damit auch die Existenz Israels in Frage stellt. Die Existenz Irans ist ja ohnehin kein Teil deutscher Staatsräson.

    Von deutscher Seite wird man aber nicht die Courage haben mit Nachdruck Bedenken zu äußern. Joschka Fischer war den Tränen nah, als er dem steinern dreinblickenden Rumsfeld die deutsche Beteiligung am Überfall auf den Irak absagte.
    http://www.youtube.com/watch?v=_k_QbpFl7RM

    Die auch aufgrund der Inkompetenz deutscher Dienste zustande kam.
    Ein Überfall auf den Iran wird nun als „Abenteuer“ verharmlost.

    Es ist nervlich viel bequemer, die USA und Israel ins offene Messer rennen zu lassen,
    und genau das wird meiner Ansicht nach unter dem Einfluss der neo“konservativen“ Falken passieren. Manche können es doch seit Jahrzehnten gar nicht abwarten, endlich den Iran zu bombardieren.

    Wenn ich Hans Rühle google, finde ich:
    „Hans Rühle. Beruf: Dipl. Sozialpädagoge (FH). Elternbildung - Kindertagesstätte - Sucht und Gewaltprävention - Stuttgart und Umgebung.“

    Ich denke dass es in der Sache kompetentere Ansprechpartner gibt.

    Es ist Zeit zu Potte zu kommen, und Kompetenz die oberste Priorität einzuräumen. Und die kann nur in dem Ansatz bestehen, den Sascha Lohmann kurz und knackig beschrieben hat.

  3. Niklas Anzinger Says:

    Ich darf behilflich sein, Herr Reppingen: http://suchen.welt.de/woa/index.php?search=hans+r%C3%BChle&wtmc=suche_head

    In den Artikel wird auch auf sämtliche Punkten eingegangen, in denen sie m.E. nach fehlinformiert sind.

    Ich mag aber generell keine Linkschlachten, worüber ich gerne diskutiere, sind Argumente.

    Der Iran hat mitnichten sein Nuklearwaffenprogramm eingestellt, diese Erkenntnis war eine Fehleinschätzung der amerikanischen Geheimdienste. Es dreht sich ja alles hier scheinbar um diese Frage. In dem Fall also: zu welchen Schlüssen würden sie kommen, Herr Reppingen, wenn sie von der Annahme ausgehen, dass der Iran fieberhaft an einem Nuklearwaffenprogramm und dessen Verdeckung arbeitet (davon gehe ich aus)?

  4. Niklas Anzinger Says:

    Aber ich will mich auch gar nicht einzig auf Rühle stützen - man muss den Autor kritisch sehen, aber gelesen sollte man die Artikel schon haben.

    Womit ich an Herrn Lohmanns Kommentar viel eher ein Problem habe ist die unkritische Bezugnahme auf Aspekte, die im Zuge der Debatte der eigenen Meinung zuträglich erscheinen. Herr Lohmann hätte hierfür kein besseres Beispiel bringen können, als die „nukleare Fatwa“.

    Erstens, aller Wahrscheinlichkeit nach existiert sie nicht.

    Zweitens, wenn sie existiert, was heißt das? Khomenei hat eine Fatwa erlassen, die den Kopf von Salman Rushdie fordert und eine, die diskutiert, ob Sex mit Hühnern erlaubt ist. Und wenn wir davon ausgehen, dass das iranische Regime die Bombe will, dann ist es auch nicht vermessen anzunehmen, dass sie auf Lügen zurückgreifen, versichern, dass sie das gar nicht wollen, um sich mehr Zeit zu verschaffen. Ergo, müssen wir auf andere Faktoren zurückgreifen, wenn wir zu einer seriösen Einschätzung kommen wollen, ob das iranische Regime die Bombe will oder nicht. Meiner Ansicht nach ist die Beweiskraft so erdrückend, dass die Auseinandersetzung comichafte Züge annimmt, seitens derer, die immer wieder die ganzen alten Sachen (zuallervorderst den NIE-Bericht) zitieren - die in der Diskussion eigentlich schon lange durch belastbarere Fakten und Einsichten ersetzt werden hätten können.

    Hier ein guter Artikel dazu: http://www.tabletmag.com/jewish-news-and-politics/97762/irans-missing-nuclear-fatwa/ und ein sehr schönes Zitat: „In effect, this country’s intellectual and political elite—including policymakers from the Bush and Obama Administrations—consistently entertain Orientalist conceits. The Muslim world, in their view, is a region of surpassing strangeness that can only be comprehended, and even then only dimly, by familiarizing ourselves with alien concepts, like taqiyya and fatwas.“

    Der Artikel zeigt symptomatisch das Problem der Herangehensweise meines Kollegen Herrn Lohmann. Seien sie ehrlich, wenn sie auf Einschätzungen zurückgreifen, die sich später als wenig belastbar erweisen, dann gestehen sie ihren Fehler ein und modifizieren sie ihr eigenes Urteil.

  5. Niklas Anzinger Says:

    Herr Reppingen,

    der letzte Kommentar wurde geschrieben, bevor ich den Ihrigen gelesen habe.

    Wo behaupte ich besser informiert zu sein, als die CIA und der Mossad? Keiner von uns weiß, wie weit diese Geheimdienste informiert sind. Wie ich schon argumentiert habe, sollten wir auch mit Geheimdienstwissen vorsichtig sein: http://www.nytimes.com/2012/04/12/opinion/beware-of-faulty-intelligence.html

    Wenn ich das richtig lese, dann sind sie ebenfalls der Ansicht, dass der Iran an einem Nuklearwaffenprogramm arbeitet - da unterscheiden sie sich zumindest von Herrn Lohmann, der in der Hinsicht seine inkonsistenten Prämissen mal klarstellen sollte.

    „Ron Paul scheint der Einzige zu sein, der noch die Interessen der amerikanischen Bevölkerung vertritt.“

    Wenn das wirklich ihr Ernst ist, dann leben sie in einer Scheinwelt, wie die meisten Ron Paul-Anhänger. Ron Raul sagt er hätte nicht im zweiten Weltkrieg eingegriffen, um jüdisches Leben zu retten - und aus diesem Grund würde er auch nichts gegen eine nukleare Bewaffnung des Iran machen. Die amerikanische Bevölkerung steht allerdings mehrheitlich an der Seite der Israelis. Wenn der Iran eine Gefahr für Israel darstellen sollte, würden die amerikanischen Wähler ein Eingreifen an der Seite Israels unterstützen. Auch das Argument der Kriegsführung zur finanziellen Bereichung dürfen sie getrost in die Kiste konventionellen Wissens mit einem Touch von Verschwörungstheorie packen (genauso wie ihre Geschichte von den „neokonservativen Falken“, die ebenfalls in dieses Repertoire gehört), das schon lange als falsch abgetan werden sollte. Kriegsführung ist teuer, ekelhaft, kostet eigene Bürger das Leben und gefährdet Investitionen und vieles mehr. Über diese Sachen sollten wir an dieser Stellen nicht diksutieren, da das von der Sache ablenkt. Ich kann ihnen ohnehin gleich versichern, dass wir dort auf keinen gemeinsamen Nenner kommen werden. Es ist wichtiger den Lesern unsere jeweiligen Positionen in aller Klarheit darzustellen.

    Wie ich schon argumentiert habe meine ich, dass eine glaubhafte Kriegsdrohung und scharfte Sanktionen mit entsprechender Entschlossenheit eben gerade eine militärische Auseinandersetzung verhindern können.






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