Was ist uns Europa wert?

Ruprecht Polenz │ 14. Februar 2012



„Frieden, Wohlstand und Demokratie bilden eine Triade, die am stabilsten ist, wenn man sie mit anderen teilt. Genau dafür sorgt die europäische Integration.“

Ruprecht Polenz

Dieser Satz des deutschen Diplomaten Dr. Eckard Lübkemeier[1] bringt auf den Punkt, worum es bei der europäischen Schuldenkrise tatsächlich geht. Die Debatte um die Stabilisierung des Euros dreht sich in den Medien und unter Politikern bislang primär um finanztechnische Aspekte. Die Fragen, wie führen wir die Schulden zurück und schaffen Vertrauen auf den Finanzmärkten, be­herrschen die Schlagzeilen. Vor allem was uns Europa kostet, steht im Vordergrund.

Ich glaube, dass wir uns stattdessen fragen müssen, was uns Europa wert ist. Es ist richtig zu sagen, wir wollen angesichts der unvorstellbaren Summen, um die es geht, unseren Kindern und Enkeln keine überbordende Schuldenlast hinterlassen. Aber wollen wir ihnen nicht vor allem das hinterlassen, wovon die Nachkriegsgenerationen mehr als 60 Jahre lang profitiert haben, nämlich Frieden und Freiheit?

Diese Errungenschaften des vereinigten Europas sind einmalig. Ich halte es aber für einen Trugschluss zu glauben, dieser durch Integration geschaffene Frieden sei selbstverständlich und ein für alle mal gegeben. Erst die EU garantiert Frieden. Es ist die Basis für unseren Wohlstand und immer mehr unsere Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung.

Die europäische Friedensordnung als gegeben hinzunehmen, macht Platz für den Mythos, Deutschland zahle Milliarden für die europäischen Pleitestaaten, ohne Vorteile davon zu haben. Wer dies glaubt, irrt! Kein anderer Staat profitiert so von der europäischen Integration und der gemeinsamen Währung wie Deutschland. Es ist richtig, der Euro kostet uns viel. Zu teuer ist er nicht. Über 40 Prozent unserer Exporte gehen in die Eurozone, 60 Prozent in die EU. Neun Millionen Arbeitsplätze hängen in Deutschland direkt vom EU-Binnenmarkt ab. Der Euro hat zu einem regelrechten Exportboom geführt. Zwischen 1990 und 1998 exportierten wir jährlich 3 Prozent unserer Waren in die Europäische Union. In der Zeit von 1999 bis 2003 verdoppelte sich der Anteil auf 6,5 Prozent pro Jahr. Bis 2007 wurden daraus jeweils 9 Prozent. Und auch in den wirtschaftlich schwierigen Jahren 2008 und 2009 erzielten wir Zuwächse von 6,5 bzw. 9 Prozent pro Jahr.[2] Allein der Beitritt Polens zur EU hat bei uns 300.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Unsere Wirtschaft steht heute so gut da wie nie zuvor in der deutschen Nach­kriegsgeschichte. Das haben wir auch der gemeinsamen Währung zu verdan­ken.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass nur ein Mehr, nicht ein Weniger an Eu­ropa der Bewältigung der Krise und Wahrnehmung unserer Interessen dient. Wir müssen also weiter an der Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion und der Vertiefung der politischen Union arbeiten.

Gelingen wird dies nur, wenn Europa von seinen Bürgern gewollt wird und ge­lebt werden kann, wenn die Menschen ein demokratisches, wirtschaftlich pros­perierendes und sozial solidarisches Europa erfahren. Es liegt an uns, das zu verwirklichen. Das ist auch der einzige Weg, um die Erosion der öffentlichen Unterstützung für Europa zu stoppen.

Ruprecht Polenz, MdB ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.


[1] Die Vermessung Europas, Dr. Eckhard Lübkemeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.09.2011.

[2] Wie Deutschland vom Euro profitiert, Spiegel Online vom 19. März 2011.

Bildquelle Autorenbild: Deutscher Bundestag / Müller

Bildequelle Artikelbild: Deutscher Bundestag / Lichtblick /Achim Melde

2 Kommentare

  1. Felix Seidler Says:

    Als junger, politisch aktiver Bürger finde ich es nicht hilfreich, dass in der Euro-Krise immer wieder mit dem Gespenst des Krieges argumentiert wird.

    Wir Europäer sind Freunde und sollten daher auf einer besseren Ebene - unabhängig welcher Meinung man ist - diskutieren, als auf der Ebene des Gespenstes „Krieg“.

    Sie reden von den Nachkriegsgenerationen. Es ist bisweilen erschreckend zu sehen, dass aktive Politiker den jungen Menschen in Deutschland und Europa theoretisch immer noch zutrauen, sie könnten eventuell gegeneinander Krieg führen. Wäre es anders, würde wohl kaum mit dem Kriegsgespenst argumentiert. Ist es doch nicht so, sollte man diese rhetorische schwere Artillerie lieber auf Dauer einmotten.

    Die heutige junge Generation ist durch freie Grenzen, Urlaube, Schul- und Studienaustauschprogramme, diverse Organisationen, grenzüberschreitende Austauschmaßnahmen und viele andere Projekte enger vernetzt als jemals zuvor. Wer glaubt, diese Generation würde all ihre über Jahre, ja Jahrzehnte zwischenmenschlichen Bindungen aufgeben, um auf den Spuren ihrer Ur-Ur-Großväter gegeneinander zu kämpfen, der irrt. Man wird weiter täglich mit Facebook-Nachrichten über die letzte „Erasmus Party“, aber nicht mehr mit Waffen aufeinander schiessen.

    Würde sich seitens der Politik jemals überhaupt etwas in Richtung „Krieg“ entwickeln, würde die junge Generation Europas wohl nicht auf die Schlachfelder stürmen, sondern sich vielmehr per Internet binnen weniger Stunden zum Protest gegen die Politik organisieren.

    Richtig, Europa gelingt nur, wenn es vor seinen Bürgern gewollten. Dazu gehört auch, dass die Politik darauf achtet, mit welcher Rhetorik sie gegenüber ihren jungen Bürgern spricht.

  2. thomas wagner Says:

    Nationen, die so gravierende demographische Probleme haben „können“ gar keine Kriege gegeneinander führen. Selbst wenn sie es wollten. Das gilt auch für Russland.

    Ich stelle fest, dass es Generationen in Deutschland und Europa gibt, die viele wertvolle Erfahrung und Ideale einbringen können, aber leider keine Antworten für die Zukunft mehr haben. Doch wer hat die schon?

    Es geht um „Werte“ und „Vertrauen“, also weiche Begriffe, die im Ungefähren bleiben und damit (in meinen Augen) für eine weit verbreitete Kultur des „So tun, als ob“ stehen. Was damit auf Dauer verloren geht, sind vor allem Werte und Vertrauen.

    Wir sehen neoprotektionistischen Zeiten entgegen und merken nicht, dass so etwas unnatürliches, wie „Exportüberschüsse“, bald schon der Vergangenheit angehören werden. Schlicht, weil es sich kein Land mehr leisten können wird, eine negative Handelsbilanz zu haben (siehe wirtschaftliche Nachhaltigkeit). Dies funktionierte in den letzten Jahrzehnten nur deshalb so gut, weil die daraus resultierenden Vorteile sogleich wieder in Staaten mit boomender Finanzindustrie flossen. Um dort noch höhere Gewinne zu generieren, was nun endgültig vorbei ist.

    Die Welt verändert sich und Verantwortungsträger verlängern weiterhin die Gegenwart unkritisch in die Zukunft. Dabei gehen mit diesem Abbau von wirtschaftlichen Ungleichgewichten auch Veränderungen in den Unternehmen einher. Sie werden immer internationaler und darum bemüht sein, nicht einer bestimmten Interessenssphäre zugeordnet zu werden. Überall Produktion, überall Forschung, überall Anteilseigner.

    Und die Produktivität? Auch die Zeiten werden bald vorbei sein, in denen man Unternehmensgewinne allein dadurch erhöhte, dass man in einem Billiglohnland produzierte. Eine merkwürdige Form der „Innovation“, die in der Summe viele zwar Arbeitsplätze geschafft hat. Doch bald schon wieder werden Arbeitskosten nur noch durch zunehmende Automatisierung zu senken sein.

    Wenn ich mich hier so kritisch zu aktuellen Verantwortungsträgern äußere, muss ich aber auch etwas eingestehen, was mich noch sehr viel mehr verunsichert. Ein Beispiel: in der Jungen DGAP explodieren seit Gründung die Mitgliederzahlen. Inzwischen dürften es einige Hundert sein. Das sollten Menschen sein, die sich interessieren, engagiert und begeistert sind. Doch allein schon ein Blick in den Blog, mit seinen 4 Beiträgen ohne nennenswerte Resonanz, zeigt, dass kaum jemand wirklich etwas beizutragen hat. Auch in den jüngeren Generationen werden offensichtlich keine Antworten gesucht.

    Mich erinnert dies an ein Zitat von Donald Marquis: „Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen nicht wissen, was sie wollen, aber alles tun, um es zu bekommen.“






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Die Atlantische Initiative will einen Beitrag zur Stärkung der außenpolitischen Kultur in Deutschland leisten. Mitgestaltung außenpolitischer Prozesse muss für alle möglich sein. Dafür ist es wichtig, alle Teilbereiche der Gesellschaft besser zu vernetzen. Besonders liegt uns die Förderung von Partizipationsmöglichkeiten für die junge Generation am Herzen. Um unser Motto mit Leben zu füllen, haben wir eine Reihe von Projekten entwickelt. Wir freuen uns auf Ihre Beteiligung.

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