Wirtschaft, Versorgung, Cyber: Inhalte deutscher BRICs-Politik

Felix Seidler │ 23. Januar 2012



Deutschland muss gegenüber den BRICs intensiver Außenpolitik betreiben. Die bestehenden Regierungskonsultationen sollten stärker genutzt werden. Da Europas Eigen- nicht mit der Außenwahrnehmung seiner Macht übereinstimmt, muss die Bundesregierung mehr Initiative zeigen, um mit den BRICs in der globalen Wirtschafts-, Versorgungs- und Cyber-Politik gemeinsam Resultate zu erzielen.

Ab 2025 wird Deutschland überholt
Zwischen 2025 und 2030 werden Brasilien und Indien laut dem IWF an Deutschland vorbeiziehen. Die einst drittgrößte Volkswirtschaft wäre dann nur noch die sechstgrößte der Welt. Will sich Berlin heute darauf vorbereiten, geht es primär um die Nutzung wirtschaftlicher Macht als politisches Instrument zum Ausbau bestehender politischer Beziehungen und Konsultationsformate. Nur über diese Beziehungen und Formate kann Deutschland im multipolaren Staatensystem positiven Einfluss ausüben.

Eine echte militärische Größe war die Bundesrepublik nie und sie wird es, unabhängig vom Vorhandensein des dafür nötigen politischen Willens, auch im Verbund mit Alliierten nicht mehr werden. Dazu haben alle Bundeswehrreformen zu tiefe Einschnitte hinterlassen. Europas Soft Power, gemeinhin als seine größte Stärke bezeichnet, erodiert durch die Eurokrise immer mehr und stellt damit keine ausreichende Grundlage dar, sich auf die Phase des „Überholt-Werdens“ vorzubereiten.

Eurozentrismus relativieren
Will man den Grund der Notwendigkeit einer deutschen BRICs-Politik verstehen, muss man sich zuerst vom Geiste des Eurozentrismus verabschieden und die globale Rolle Europas in den kommenden Dekaden relativieren. Vielen Europäern fällt es immer noch sehr schwer, zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung zu differenzieren. Wer etwa als Europäer gegenüber Indonesiern oder Australiern von der EU als internationalem Akeure spricht, erntet nur Achselzucken und ungläubiges Kopfschütteln.

Dass China ein klimapolitisches Anliegen der Europäer mittlerweile mit einem „natürlich nicht“ abschmettert, sagt viel darüber aus, dass man Europa in anderen Erdteilen als nicht mehr so mächtig ansieht, wie sich Europa selbst zu Hause noch fühlt. Man darf auch hinterfragen, wie positiv die Ausstrahlung der Brüsseler Bürokratie auf andere Staaten wirklich ist. In Brüssel wird lange verwaltet, während in den BRICs in kurzer Zeit gebaut wird. Während die Staatsschuldenkrise in Europa weiter eskaliert und die indirekten Staatsschulden weiter wachsen, was ab 2015 qua Demographie zu neuen Problemen führt, wird in den BRICs vor allem investiert; mit der Einschränkung Russlands, dem es demografisch noch schlechter geht als Europa.

Ferner heißt es, Europas Integrationsmodell sei Vorbild für andere Staaten. Sollte diese Vorbildrolle noch existieren, kann man bezweifeln, dass sich diese Rolle aufrechterhalten lässt, wenn Erpressung in einer tief integrierten EU nun wiederholt zum Politikinstrument wird. Wie attraktiv ist Integration als Modell für andere Staaten, wenn man dadurch im Ernstfall in vitalen Bereichen wie der Währung erpressbar wird? Außerdem heißt es, gerade als Friedensmodell habe Europa eine besondere Ausstrahlungskraft. Wenn dies tatsächlich so wäre, dann würden gerade die aufstrebenden Mächte dieser Welt nicht immer weiter aufrüsten.

Bei aller Aufmerksamkeit, die die Eurokrise verlangt, gilt es auch lange gehegte (Wunsch-)Vorstellungen über Europa zu hinterfragen und mit Blick auf die Außenwahrnehmung zu relativieren. Begreift man, dass Europa nicht so wahrgenommen wird, wie es die Europäer gerne hätten, bedarf es des Nachdenkens über neue Politikansätze.

Inhalte deutscher BRICs-Politik
Bei den drei elementarsten Problemkomplexen unserer Zeit 1. Wirtschafts- und Finanzsystem, 2. Energie und Versorgung sowie 3. Cyber sind ohne die BRICs und andere aufstrebende Staaten in der internationalen Politik gar keine positiven Resultate mehr erzielbar.

In der Realpolitik verfolgen China und Russland bei den Themen Cyber und Umwelt Interessen, die den deutschen Vorstellungen diametral zuwiderlaufen. Nichtsdestotrotz kann deutsche Cyber-Außenpolitik, wie sie seit mehr als einem Jahr im Auswärtigen Amt aufgebaut wird, diese beiden Mächte plus Indien und Brasilien nicht umgehen. Aller Geschäftsverkehr ist von Cyber-Infrastruktur abhängig, so dass alle Staaten ein gemeinsames Interesse an deren Funktionieren haben. Keine Datenübertragung heißt keine Aufträge.

Die Streitigkeiten in Umweltfragen außen vor gelassen, teilen Deutschland, Russland und China das Interesse an einer ökonomisch sinnvollen Nutzung der arktischen Seewege, je mehr die Arktis eisfrei wird. Ob zu Land, zu Luft oder zur See, freie, sichere und ökonomisch nutzbare Transportwege sind ein gemeinsames, unteilbares Interesse von Deutschland und BRICs. In der Umweltpolitik finden sich sicher Schnittmengen mit Brasilien in Anbetracht dessens Regenwalds als grüne Lunge des Planeten.

Je stärker die Wirtschaft wächst und je größer Volkswirtschaft werden, desto akuter werden die globalen Verteilungskämpfe um Rohstoffe. Für eine auf Dauer funktionierende Weltwirtschaft brauchen jedoch alle Marktteilnehmer die gleichen Zugangsbedingungen zu Rohstoffen.

Handlungsempfehlungen
Mit China, Russland und Indien führt die Bundesregierung bereits Regierungskonsultation durch. Es gilt für Berlin darauf hinzuwirken, dass diese Konsultationen im Jahresrhythmus stattfinden und dabei die hier genannten Themen auf der Tagesordnung bleiben.

Mit Blick gen 2025 muss Brasilien ebenfalls ein Angebot für regelmäßige Regierungskonsultationen gemacht werden. Die drei bereits laufenden Konsultationen bilden hier eine gute Argumentationsgrundlage. Andernfalls wäre Brasilien das einzige BRICs-Mitglied ohne Regierungskonsultationen mit Deutschland.

Aufgrund der existenziell wachsenden Bedeutung des Internets für die Menschheit gehört das Thema Cyber endlich auf die Tagesordnung der UNO. Russland und China haben durch ihre militärischen Cyber-Programme kein Interesse daran, dass Cyber in der UNO diskutiert wird. Indien als IT Nation und Demokratie hat genauso wie die Exportnation Deutschland jedoch ein Interesse an der Diskussion dieser Thematik in der UNO. Die Bundesregierung könnte versuchen, zusammen mit den Indern und wenn möglich den Brasilianern eine Cyber-Initiative in der UNO zu starten, die für weitere Staaten zum Beitritt offen ist. Auch wenn es viele Akteure noch nicht wahrgenommen haben, ein Cyber-Krieg könnte der Weltwirtschaft nachhaltigen Schaden zufügen. Gerade Wachstumsnationen wie Indien und Brasilien können das nicht wollen.

Nicht einmischen sollte sich Berlin gegenüber den BRICs in sicherheitspolitischen Fragen. Im asiatisch-pazifischen Mächtekonzert, laut Hillary Clinton dem sicherheitspolitischen Mächtekonzert dieses Jahrhunderts, spielen weder Deutschland noch Europa eine Rolle. Sonst hier aufgewendete politische Energie kann man sinnvoller, eben in Wirtschafts-, Energie- und Cyber-Fragen verwenden. Die Regionalmacht Brasilien lehnt im südatlantischen Raum Einmischung von außen ohnehin ab. Inwieweit Russland ein sicherheitspolitischer Partner sein kann oder sollte, ist noch eine ganz andere strategische Herausforderung.

Resultate statt Wunschdenken
Beschlüsse mit Wunschlisten für eine bessere Welt zu produzieren, kann sich aktuell weder die EU noch einer ihrer Mitgliedsstaaten leisten. Es gilt in der Zukunft von den Resultaten, anstatt von den Wünschen her zu denken. Statt eurozentrisch auf alten Vorstellungen zu beharren, sollten die Europäer ihre Wahrnehmung auf anderen Kontinenten stärker reflektieren.

Wer der hiesigen Analyse von Europas Außenwahrnehmung folgt, muss einsehen, dass es keine kontraproduktive nationale Politik, sondern ein Unternehmen zum Wohle aller Europäer wäre, wenn Berlin durch eine eigene BRICs-Politik in den drei elementarsten Problemkomplexen endlich für die Resultate sorgt, die die EU nicht ausreichend liefert.

Felix F. Seidler ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Redakteur für Deutschlands Agenda. Seit 2009 schreibt auf seinem eigenen Blog zu aktuellen sicherheitspolitischen Themen.

Bildquelle / copyright: http://kremlin.ru/

Weitere DA-Artikel zu diesem Thema:

Dr. Henning Riecke (16. Januar 2012): Verantwortung übernehmen

Dr. Georg Schulze Zumkley (13. Dezember 2011): Deutschlands Außenpolitik aus europäischer Perspektive

Dr. Ulrich Speck (30. November 2011): Der provinzielle Charakter der deutschen Außenpolitik

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