Sicherheitspolitische Kommunikation 2.0 in Zeiten knapper Kassen

Felix Seidler │ 10. November 2011



Mangels Geld werden außen- und sicherheitspolitische Ausgaben zunehmendem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sein. Um an der Informations- und Deutungshoheit im Netz teilzuhaben, muss die deutsche „Community“ ohnehin mehr tun. Speziell für die Bundeswehr bieten sich hier eine Reihe guter Möglichkeiten. Wer das gesellschaftliche Partizipationsbedürfnis ignoriert, muss damit rechnen, bei kommenden Budgetdebatten den Kürzeren zu ziehen.

Zunehmender Rechtfertigungsdruck
Die Lage des Bundeshalts wird nicht besser, sondern nur schlechter. Setzt man die Schuldenbremse in Beziehung zur den EU/Euro-Zahlungsverpflichtungen, den bankrotten Sozialsystemen, Beamtenpensionen und steigenden Zinslasten, bleibt kein Zweifel daran, dass alle außen- und sicherheitspolitischen Ausgaben über die nächsten Jahre zunehmenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sein werden. In vielen Europäischen Ländern und den USA kommt es ähnlich, zumal der Wettlauf nach unten bei den Verteidigungsausgaben bereits in vollem Gange ist.


Heute versucht man die Ausgaben einer öffentlich Debatte noch dadurch zu entziehen, indem etwa die jährlich bar gezahlten EU- (22 Mrd. €) und VN-Beiträge (8 Mrd. €) Deutschlands im veröffentlichten Haushaltskuchen nicht namentlich auftauchen. In dem Maße, in dem später anderswo gekürzt wird, kann sich auch die Außen- und Sicherheitspolitik den Finanzierungsdebatten nicht entziehen. Selbst wenn Kürzungen vermieden werden können, werden Etaterhöhungen wesentlich schwieriger oder gar nicht durchsetzbar. Ausbleibende Etatkürzungen oder gar beschlossene Erhöhungen werden stattdessen eher Gegenstand öffentlicher und politischer Kritik.

Je mehr sich die außen- und sicherheitspolitische Community abkapselt, desto wahrscheinlicher wird es, dass kommende Finanzierungsdebatten nicht zu Gunsten ihrer Interessen ausgehen. Ohne einen proaktiven Gang in die Öffentlichkeit besteht keine Möglichkeit der Rechtfertigung oder Darstellung eigenen Wertes bzw. eigener Leistung. Mangels breiter öffentlicher Unkenntnis der Materie und des Wertes außen- und sicherheitspolitischer Ausgaben könnte die Community unter dem Druck der Schuldenbremse eines Tages manche Niederlage einstecken müssen. Es ist also an der Zeit, dass die deutsche außen- und sicherheitspolitische Community gegenüber dem Souverän mehr kommuniziert

Problem Generationenkonflikt
Deutschland tut sich, wie so häufig, schwer mit Neuerungen. Kommunikation im Web 2.0 ist so etwas Neues, so dass als erstes die Fragen gestellt werden, „was bringt das überhaupt?“ und „sind die Risiken nicht zu groß?“. Während Amerikaner, Russen, Australier und viele andere im Web 2.0 einfach munter loslegen, muss in Deutschland erst ewig geprüft, müssen Bedenken abgewogen werden.

Wie ich als relativ junger Blogger selbst oft genug erlebt habe, fehlt vielen Älteren mit sicherheitspolitischer Sozialisation im Kalten Krieg einfach technisches Wissen. Mancher weiß nicht, dass man mit einem Handy mittlerweile unmittelbar Videos ins Netz stellen kann. Dazu kommt teilweise mangelndes Verständnis der Materie. Einen Twitter- oder Facebookpost kann man nicht erst tagelang in einer Bürokratie abstimmen, sondern muss unmittelbar zum betreffenden Ereignis veröffentlich werden. Während die junge Generation ohne große Bedenken und offensiv mit dem Web 2.0 angeht, überwiegt auf der älteren Seite in Deutschland oft die Skepsis. Dieses Problem müssen wir in den Griff kriegen.

Informations- und Deutungshoheit
Inwieweit können es sich die deutschen Akteure noch ihre weit verbreite Web 2.0 Abstinenz leisten, während ausländische Regierungen und Think Tanks, internationale Organisationen, diverse Medien, NGOs und Individuen quasi Echtzeitkommunikation betreiben? Diese Frage darf man stellen, denn bei allem Prüfen und Bedenken, sollte man auch prüfen und bedenken, welche Folgen es haben kann, dass man etwas nicht macht.

Ist es klug, seine eigene Botschaft dem Filter der Presse zu überlassen, während die Konkurrenz sich unmittelbar ohne diesen Filter an den Empfänger der Botschaft wendet? Das US State Department betreibt massiv Öffentlichkeitsarbeit im Web 2.0 in diversen Sprachen. Jedem muss klar sein, wenn wir Deutschen dort nicht oder wenig aktiv sind, ist es eben nicht die deutsche, sondern weitestgehend die amerikanische Message, die die „Hearts & Minds“ dort erreicht. Wer im Web 2.0 nicht präsent ist, hat damit leben, dass seine Inhalte dort eben keine Wirkung entfalten. Die Informations- und Deutungshoheit wird bei eigener Abstinenz einfach anderen überlassen. Darüber hinaus ist es müßig, sich über die im Netz kursierenden Meinungen oder unqualifizierten Inhalte zu beschweren, wenn man gleichzeitig nicht den Versuch unternimmt, auf positive Weise darauf einzuwirken.

Die NATO hat zu Beginn des Libyen-Einsatzes in dieser Beziehung ein gutes Bild abgegeben. Über die Homepage, Facebook und Videos wurde der Versuch von Echtzeitkommunikation unternommen. Ich habe das damals sehr intensiv verfolgt und kann sagen, dass das durchaus erfolgreich war. Bisweilen war Generalsekretär Rasmussen mit seinen Videos zu den Ergebnissen von NATO-Sitzungen eher bei Facebook als Spiegel Online und andere die entsprechenden Meldungen brachten. Teilweise habe ich gesehen, dass Medien dann diese Videos wiederrum zitierten. Die Folge war, dass die NATO durchaus an Deutungs- und Informationshoheit gewann. Man kann angesichts einer UN-mandatierten humanitären Intervention darüber streiten, inwieweit die Public Diplomacy der NATO hier überhaupt öffentliche Zustimmung generieren musste. Allerdings kann Echtzeitkommunikation dieser Art das Entstehen negativer Reaktionen verhindern, da die Message beispielsweise nicht durch Medien oder Blogger gefiltert und evtl. verzerrt wird.

Für viele in der deutschen sicherheitspolitischen Community mag die Web 2.0 Abstinenz im Tagesgeschäft nicht weiter schlimm erschienen, zumal sich ohnehin nur die üblichen interessierten Kreise damit befassen. Gerade bei gravierenden Ereignissen, wie etwa Libyen, der Erschießung bin Ladens oder dem Aufstand in Syrien, fangen aber größere Teile der Gesellschaft über die interessierten Eliten hinaus an, aktiv nach Informationen im Web 2.0 zu suchen. Wer dann nicht präsent ist, wird eben auch nicht gefunden und überlässt die Informations- und Deutungshoheit bei spektakulären Ereignissen damit anderen.

Chancen vor Risiken
Nachdem die NATO, die Amerikaner und viele andere das Web 2.0 mit Erfolg nutzen, sollte auch die sicherheitspolitische Community in Deutschland die Chancen den Risiken vorziehen. Wenn es alle anderen können, dann können wir es doch auch, oder nicht?

Langsam tut sich etwas in Deutschland. Seit 3. Mai twittert das Auswärtige Amt und die AA-Homepage bekam vor einer Weile ein neues, ansprechendes Layout. Die Bundeswehr hat zumindest zur Nachwuchswerbung eine eigene FB-Seite, der Minister macht Podcasts und auf der Bundeswehr-Seite gibt es „Online Tagebücher“ aus den Einsätzen. Wie authentisch diese Tagebücher qua Filter durch die Presseoffiziere sind, ist dabei eine andere Frage.

Gerade für die Bundeswehr liegt eine riesige Chance bei Facebook. Von Politikern und Offizieren hört man stets den Ruf nach der Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft. Gerade nach dem Fall der Wehrpflicht. Bei Facebook liegt bereits ein riesiger Anker in Form eines Bundeswehrprofils mit 38.000 Fans und einer Unzahl an weiteren bundeswehr-relevanten Seiten und Gruppen. Die Bundeswehr müsste an diesen Anker nur noch die Kette legen. Kostet einen Anruf bei Facebook, eine Email an die aktuellen Inhaber des Profils und zwei Praktikanten, die das Profil betreuen. Außerdem würde sich die Nachricht, dass es die Bundeswehr endlich zu Facebook geschafft hat, von allein wie ein Lauffeuer verbreiten.

Und warum haben eigentlich die Jugendoffiziere kein FB-Profil? Ein Jugendoffizier erzählte mir selbst, dass er nach seinen Vorträgen in Schulen immer wieder Freundschaftsanfragen auf seinem privaten Profil von Schülern erhalte, die auch Interesse an der Bundeswehr und Sicherheitspolitik äußerten. Laut eigener Aussage würde er diese Anfragen ablehnen, weil es sich eben um sein privates Profil handele. Es wäre doch gut, wenn Jugendoffiziere interessierte junge Menschen zumindest auf ein entsprechendes FB-Profil „Jugendoffizier“ verweisen könnten.

Als eines der größten Risiken wird aus der Bundeswehr und anderswo immer wieder der Kontrollverlust im Internet angeführt. Darauf gibt es nur eine Antwort: mit dem Kontrollverlust muss man leben. Punkt. Aus. Ende. Was Nutzer mit Presseerklärungen, Posts, Videos oder anderem Inhalt im Internet machen, lässt sich nicht kontrollieren. Der Kontrollverlust muss dabei nicht notwendigerweise negativ sein, da gerade über die unkontrollierte Weiterverbreitung von Inhalten auch durchaus positive Resonanz auf einen zurückkommen kann.

Wie man etwa bei Stuttgart 21 sehen konnte, gibt es in der Gesellschaft ein wachsendes Bedürfnis nach Partizipation. Die außen- und sicherheitspolitische Community sollte die Chancen des Web 2.0 nutzen, um auf dieses Bedürfnis einzugehen. Alleine der Eindruck, dass sich diese Community gesellschaftlicher Partizipation verschließt, könnte angesichts des Zeitgeistes schon schädlich sein. Immer wieder höre ich, die Bevölkerung interessiere sich zu wenig für Außenpolitik und uns fehle in Deutschland die grundlegende gesellschaftliche Debatte über Außen- und Sicherheitspolitik. Je mehr Möglichkeiten zur Partizipation geschaffen werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich mehr Menschen dafür interessieren und Debatten entstehen.

Denn zum Abschluss will ich hier eine provokante Frage aufwerfen: Wird die deutsche Öffentlichkeit (oder zumindest Teile davon) angesichts der Schuldenbremse geschuldeten Sozialkürzungen in ein paar Jahren noch die Ausgaben für Auslandseinsätze oder die Höhe des VN-Beitrages akzeptieren? Wer nicht proaktiv in die Öffentlichkeit geht und versucht, seine Message unter die Leute zu bringen, läuft Gefahr, dass er dann von Entwicklungen überholt wird.

Foto: Alexander Klaus / pixelio.de

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